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Dieser Koch wird keine scharfen Speisen bereiten – Manfred Sohns neues Buch über den Epochenbruch

Rezension

von Stefan Janson

"Am Epochenbruch – Varianten und Endlichkeit des Kapitalismus"; Papyrossa Verlag Köln 2014; 222 Seiten

"Was wir nicht richtig denken, das werden wir verkehrt leben"
Constantin Brunner


Etwas mehr als zwei Jahre nach seinem Buch "Der dritte Anlauf – Alle Macht den Räten"[1] legt Manfred Sohn eine weitere Arbeit vor, die im Wesentlichen darauf abzielt, die Endlichkeit des Kapitalismus und das Bevorstehen einer sich über einen längeren Zeitraum hinziehenden Transformationsperiode zu einem Sozialismus zu beweisen.

Auf den ersten 80 Seiten versucht Sohn den Beweis dafür zu erbringen, dass erst jetzt "sich im Schoße der kapitalistischen Gesellschaft selbst die Voraussetzungen herausgebildet haben), diesen Übergang (von der kapitalistischen zur sozialistischen Epoche der Menschheit – d. Verf.) tatsächlich zu vollziehen." (S. 7f) Er legt ausführlich dar, weshalb sich kritisches Denken über eine Auseinandersetzung mit dem Geld hinaus auf des Pudels Kern hinzielen soll: für diejenigen, die es noch nicht wussten - im kapitalistischen Wirtschaftssystem liegt die Ursache für die gegenwärtige, sich seit 2007 hinziehende Krise begründet. Diese Passagen richten sich gegen die oberflächliche Rede von der Gier und Schamlosigkeit "der Banker", die in der Tat so wohlfeil wie folgenlos ist. Es reicht eben nicht, sich mit Geld- oder Kreditphänomenen aufzuhalten. So weit, so bekannt. Sohns zentrale These ist nun, dass die gegenwärtige Krise die letzte ist. Die Phase des "staatsmonopolistischen Kapitalismus" laufe mit dem Ausbleichen des Staates aus, "weil die Monopole, die sein Rückgrat bilden, ohne ihn den Kapitalismus nicht mehr weiter aufrechterhalten können. Nach dem Stamokap folgt keine weitere Variante, sondern die Ablösung des Kapitalismus – also der vor uns liegende Epochenbruch."(S. 46)

Eine steile These. Brauchen die Monopole, brauchen die Finanzkapitalien einen Staat, wie wir ihn kannten? Ist nicht die "Troika", also die operative Zusammenarbeit von IWF, EZB und EU-Kommission, ein neues Modell, mit dem ein neuer Modus kapitalistischer Herrschaft, nämlich des Neoliberalismus, durchgesetzt wird, wie sich in Griechenland, Spanien, Irland usw. usf. besichtigen lässt? Und unterliegt Sohn nicht einer gravierenden Fehleinschätzung, wenn er den Neoliberalismus als "Lieblingsvokabel vieler (west)deutscher Linker und Halblinker" apostrophiert, dessen Kern er wie folgt diskutiert: "Was unter dem irreführenden Begriff ‚Neoliberalismus‘ verkauft wird, war in seinem Kern das Wegschlagen der nach dem Schock von 1929 gesetzlich verankerten Begrenzungen, ungehemmt auf zukünftig eintretende Gewinne zu spekulieren und so den Kreditmarkt anzuheizen" (S.48)? Der Neoliberalismus ist doch sowohl ideologisch als auch ökonomisch mehr: sozialdarwinistische Marktgesellschaft in der Theorie und Praxis, in Wertsetzung und Landnahme aller noch nicht kapitalisierten Bereiche der Gesellschaft in der Praxis. Das ist doch noch nicht zu Ende!

Genau das aber versucht Sohn darzulegen. Mit dem Schrumpfen der vom Kapitalismus noch verwertbaren Arbeit schrumpfe der Kapitalismus selbst (S. 63). Gegen Ende dieses Teils wird auch das "Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate" bemüht. Bislang aber haben die ihm entgegenwirkenden Faktoren immer wieder, und zwar ca. 150 Jahre lang gereicht, um seine Wirksamkeit zu konterkarieren. Weshalb sollten wir dieses Mal darauf vertrauen, dass es wieder einmal um eine "Todeskrise des Kapitalismus" geht – wie viele Revolutionäre des 20. Jahrhunderts haben vergeblich darauf gehofft. In der Praxis führte diese Theorie zu völligen Fehlorientierungen und letztlich – in der Konsequenz enttäuschter Erwartungen – zur Entpolitisierung Tausender Aktivisten.

Der Schwachpunkt all dieser Überlegungen ist jedoch ihr Ökonomismus, der immer eine Grundströmung im Marxismus darstellte und die bei Sohn wieder deutlich zu Tage tritt. Dieser Ökonomismus wird immer dann prominent, wenn es an der bewussten Bewegung zur Transformation des Kapitalismus fehlt. Marxistisch gesprochen: wenn es an der revolutionären Klasse fehlt, der größten Produktivkraft, wie Marx einmal bemerkt. Wer Marxismus als Gesellschaftswissenschaft begreift, muss doch die Frage nach dem Ende des Kapitalismus organisch mit der Frage verbinden, welche gesellschaftlichen Kräfte ihm ein Ende bereiten sollen. Was Sohn dazu vorlegt, bleibt diffus und dünn. Im Abschnitt "Pfadfinderinnen" (S. 192ff) werden Erkenntnisse des "Instituts für marxistische Studien und Forschung" aus dem Jahre 1985 bemüht, um die schon damals sich deutlich abzeichnende Ausdifferenzierung der arbeitenden Klassen kurz, allzu kurz abzuhandeln. Seitdem hat der Neoliberalismus sein Zerstörungswerk betrieben, hat Individualisierung und Prekarisierung großer Teile der Volksklassen forciert, ist mit den "Hartz IV"-Gesetzen der Schröder/Fischer-Regierung[2] die Entsolidarisierung selbst in den abschmelzenden Kernschichten der Facharbeiterschaft angekommen.

Die Differenzierung der arbeitenden Klassen ist ein sich seit mehr als 130 Jahren entwickelnder Prozess und seine Missachtung hat sozialistische Theorie und Praxis in schreckliche Fehleinschätzungen und Irrtümer geführt. Die Spaltung der arbeitenden Milieus ist real und subjektiv verankert. Das ist seit Bernstein bekannt und wer meint, all die Probleme[3], die sich daraus für eine politische Transformationsstrategie ergeben, ignorieren zu können, der handelt mindestens fahrlässig. Und genau das tut Sohn: "Wenn es stimmt, dass sich sowohl Differenzierung als auch Polarisierungspotenzial entwickelt haben, dann gilt es für alle Kräfte, die an einer Überwindung des Lohnsystems festhalten, alle sich differenzierenden Teile der Bevölkerung, die nicht zur K-Klasse, also zu den Ausgebeuteten und ihrem Umfeld gehören, zu einer im gemeinsamen Interesse handelnden Klasse zu formen."(S. 195) Das ist doch eine fatale Reminiszenz an die Strategie der "antimonopolistischen Einheitsfront", mit der die glücklicherweise marginalisierte DKP Politik zu machen meinte. Wer will immer noch auf ein derart totgerittenes Pferd setzen?

Das sich eine solche Organisation herausbilden wird, dessen ist sich Sohn gewiss. Auf wen oder was hofft Sohn da? Auf "Rotfuchs", DKP, "Sozialistische Linke", "Antikapitalistische Linke", "Kommunistische Plattform", "Marx 21", alle diese Sektierer, deren Hauptaktivitäten man im Netz gut verfolgen kann und die zu einem guten Teil aus gegenseitiger Denunziation und Schlammschlachtereien bestehen? Sohn ist der Überzeugung, dass die neue Organisation sowohl "globale Strukturen entfalten (wird) und zugleich vor allem dezentrale regionale Strukturen als ihren Schwerpunkt und als eigentliches Machtzentrum haben müssen." (S. 200) Wie das gehen soll, erläutert er nicht. Ihren Tätigkeitsschwerpunkt soll sie in den kommunalen Selbstverwaltungen haben. Kein Wort dazu, wie die Spannung zwischen Basis und Gesamtorganisation zu regeln wäre. Sie soll Theoriearbeit leisten. Bezeichnenderweise werden wieder die apokalyptischen Reiter der französischen und russischen Revolution, die Jakobiner und Bolschewiki, dafür als Kronzeugen benannt.[4] Zwar finden die zahlreichen selbstorganisierten Bewegungen wie z.B. das Freiburger Mietshäuser Syndikat ihren Platz an der Seite der Organisation und Sohn konzidiert: "Die Aufgabe, die Pfade in das Morgen zu finden, löst sich aber nur durch die Praxis der handelnden Menschen."(S. 206)

Auch soll die Organisation weiblich geprägt, illusionslos, robust und kreativ sein. In diesem Kontext macht Sohn Ausführungen zur Rolle der Gewalt in der Geschichte. Richtig ist sicher ebenso, dass die bürgerliche Gesellschaft sich bei der Durchsetzung ihrer Herrschaft der Gewalt bediente und bereit ist, diese mehr oder weniger mit Gewalt zu verteidigen. Soweit Sohn sich daran macht, Illusionen über diese Gewaltbereitschaft des Establishments zu zerstreuen, ist dem nichts entgegenzusetzen. Aber dann folgt der kryptische Verweis darauf, dass "eine…Bewegung…., wenn sie sich auf diesen Weg macht (zur Überwindung des Kapitalismus – d.Verf.) eine innerlich und organisatorisch robuste Konstitution" braucht (s. 221)? Wieder eine dieser diffusen Andeutungen, die alles und nichts bedeuten können. Sinnvoll wird diese Aussage nur, wenn sie Bezug nimmt auf das Konzept einer "guten Organisation", die die "richtigen" Methoden und Ziele in den sozialen Bewegungen erkennt, aufnimmt und dann auch organisiert. In der Tradition, aus der Sohn kommt und von der er sich an keiner Stelle wirklich distanziert, heißt das: die Partei.

Ziehen wir ein Fazit: weil nun der Kapitalismus nicht mit einer Fraktur sein Leben aushaucht, sondern eine längere Transformationsperiode bevorsteht, in der es ihn zu überwinden gilt, kann eine solche Organisation zwar eine revolutionäre, keineswegs aber eine die Revolution machende sein. Damit ist es Sohn gelungen, Kautskys Vorkriegsdefinition der ehemaligen Sozialdemokratie mit einem modernisierten Ökonomismus der 2. Internationalen zu verbinden und eine kleine Prise Leninismus beizufügen. Gar kein gutes Rezept für die Garküche der Zukunft!

Anmerkungen

[1] Vgl. dazu meine Rezension "Mit dem dritten Anlauf auf den alten Holzweg? – Anmerkungen zu Manfred Sohns 'Der dritte Anlauf – Alle Macht den Räten'", sopos 3/2012

[2] Nicht nur dafür werden Schröder, Steinmeier und Co. mit ihrem heuchlerisch vorgetäuschten protestantischen Glauben dereinst in der Hölle schmoren!

[3] Vgl. dazu meine Rezension zu: Michael Vester/Christel Teiwes-Kügler/Andrea Lange-Vester: Die neuen Arbeitnehmer. Zunehmende Kompetenzen - wachsende Unsicherheit, Vorwort von Berthold Huber, VSA-Verlag Hamburg 2007, 254 Seiten mit dem Titel "Modernisierung der Arbeitnehmermilieus und 'Neue Linke'", Rezension sopos 2/2008.

[4] Einen frühen Einblick in die Verwüstungen, die der Russische Bürgerkrieg mit sich brachte und welchen Anteil die Bolschewiki daran hatten gibt schon Isaak Steinberg, der Justizkomisssar der ersten Koalitionsregierung zwischen Bolschewiki und Linken Sozialrevolutionären in seiner 1925 veröffentlichten Abrechnung mit dem Terror der Tscheka und bolschewistischen "Justiz". 'Gewalt und Terror in der Russischen Revolution', Karin Kramer Vlg. 2. Auflage Berlin 1981. Auf der sopos-Seite findet sich eine Rezension von Thorsten Wegau, "Bloodlands – Gewalt zwischen Don und Donau, im Baltikum, Polen und der Ukraine", sopos 1/2103 mit neuerer Literatur.

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https://sopos.org/aufsaetze/54d33ce97fb44/1.phtml

sopos 2/2015