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Der Krieg im Kaukasus und das Ende außenpolitischer Illusionen

von Gregor Kritidis (sopos)

Jeder Krieg hat einen Anlaß sowie eine Ursache. Im Fall des „Olympia-Krieges“ im Kaukasus zwischen Georgien und Rußland wollte sich in der deutschen Medienlandschaft mit dem Anlaß kaum jemand beschäftigen, dagegen war sich die Mehrheit der Kommentatoren in der Analyse der Ursachen des Krieges um so sicherer: Es handele sich um ein Wiederaufleben des russischen Imperialismus, mithin eine Neuauflage sowjetischen Expansionismus'. In einem Land, dessen politische, wirtschaftliche und militärische Eliten zweimal Krieg gegen Rußland geführt haben, ist diese vielfach mit antirussischen Ressentiments durchsetzte These von frappierender Schlichtheit.

Zweifelsohne versucht der Kreml seit Jahren, seinen seit der Transformationskrise nach dem Fall der Mauer geschwundenen außenpolitischen Einfluß auch mit militärischen Mitteln zurückzugewinnen. Seit 1992, als Abchasien und Südossetien mit Billigung Moskaus ihre Unabhängigkeit von Georgien erklärten, herrscht dort ein prekärer Status Quo. Aber der Krieg im Kaukasus ist von der georgische Führung vom Zaun gebrochen worden und ebenso wie die Reaktion der russischen Regierung völkerrechtswidrig. Das macht die Analyse des konkreten Kontextes aber keineswegs überflüssig.

Medienvertreter und große Teile der politischen Klasse wollten es dagegen gar nicht so genau wissen. Exemplarisch dafür ist der ARD-Korrespondent in Moskau, Thomas Roth, der sich in einem Interview mit Wladimir Putin umstandslos die außenpolitische Linie der Bundesregierung zu eigen machte: In seiner einleitenden Frage behauptete er, Putin habe mit Gewalt Rußland in die außenpolitische Isolation getrieben.[1] Putin antwortete mit der Gegenfrage, wer denn den Krieg begonnen habe, woraufhin Roth einräumen mußte, die „letzte auslösende Attacke“ sei der georgische Angriff auf die südossetische Hauptstadt Zchinwali gewesen.[2] Die Verwendung des Wortes „Attacke“ stellt zwar selbst schon eine Verharmlosung der Zerstörung der 30.000-Einwohner-Stadt dar. Zumuten wollte die ARD diese Passage dem deutschen Publikum aber dennoch nicht. Sie fiel einer sinnentstellenden Kürzung zum Opfer. Erst nach massiven Zuschauerprotesten sah sich die ARD zu einer Stellungnahme genötigt.[3] In einem Interview im Deutschlandfunk rechtfertigte sich Roth gegenüber dem Vorwurf der Zensur, bei der Kürzung eines halbstündigen Interviews auf einen zehnminütigen Beitrag entfielen notwendigerweise viele wichtige Aussagen.[4] Bemerkenswert an dem Gespräch im Deutschlandfunk ist, daß daraus nicht der konkrete Inhalt des Zensur-Vorwurfes hervorging. Es wurde im Gegenteil der Eindruck erweckt, Roth sei vorgeworfen worden, er habe Putin zu positiv erscheinen lassen. Die ARD sah sich erst zu einer vollständigen Veröffentlichung des Putin-Interviews veranlaßt, nachdem innerhalb kürzester Zeit Blogger das Video sowie eine Textversion in voller Länge ins Netz gestellt hatten. Hier war und ist für jeden Interessierten nachzuvollziehen, daß der Manipulationsvorwurf alles andere als ungerechtfertigt ist.[5]

Dieser weitgehend totgeschwiegene Medienskandal wirft nicht nur ein schlechtes Licht auf die ARD. Er verweist auch auf die unkritische Haltung vieler Journalisten gegenüber der Außenpolitik der Bundesregierung. So hieß es in der Berliner taz: „Wer den Konflikt vom Zaun gebrochen hat, wird durch die Kriegshandlungen nebensächlich. Rußland führt einen Angriffskrieg auf fremden Staatsgebiet“.[6] Genau dies kennzeichnet aber die Position von Außenminister Steinmeier, der – wider besseren Wissens – eine Kommission fordert, die sich mit der Frage der Verantwortlichen für diesen Krieg befassen soll.[7] Der wiederholt in den Medien vorgetragene Vorwurf, Rußland halte die auf Druck des Westens vereinbarten Waffenstillstandsbedingungen nicht ein, ist ebenso zweifelhaft, ist doch bisher der Wortlaut dieses Abkommens noch gar nicht veröffentlicht worden.[8]

Die teilweise aufgeregten Reaktionen in der deutschen Öffentlichkeit verweisen auf komplexe psychische Konfliktlagen im herrschenden Bewußtsein – Konfliktlagen die in engem Zusammenhang mit den realen Widersprüchen der deutschen, respektive westlichen Außenpolitk sowie deren Legitimation stehen.[9] Denn in Bezug auf Südossetien und Abchasien macht sich Rußland lediglich jene völkerrechtswidrige Position zu eigen, mit denen der Westen – allen voran die Bundesregierung – die Abspaltung des Kosovo von Jugoslawien zu legitimieren sucht.[10] Die Argumentation des Kremls ähnelt der des Westens teilweise bis in die Details. Dem konnten sich die Kommentatoren nicht entziehen. So sah sich die FAZ gezwungen, den Vergleich mit der Abspaltung des Kosovo in einem Leitartikel zurückzuweisen.[11] Die FAZ hatte selbst freilich während des Krieges gegen Serbien das Völkerrecht als maßgebliche Grundlage negiert.[12]

Die USA und ihre westlichen Verbündeten – dieser Aspekt ist aus naheliegenden Gründen kaum beleuchtet worden – haben seit 1990 entgegen den internationalen Vereinbarungen versucht, ihren Einfluß nach Osteuropa auszudehnen. Höhepunkt dieser Politik war die Aufteilung Jugoslawiens. Wie auf dem Balkan und in der Ukraine treffen im Kaukasus westliche und russische Machtansprüche aufeinander. Georgien ist nach dem demokratisch zweifelhaften Machtantritt der Regierung Saakaschwili vom Westen massiv aufgerüstet worden. In Georgien befinden sich über 100 US-Militärberater. Im Irak konnte die georgische Armee überdies ihre Fähigkeiten in der Praxis erproben. An einer direkten Konfrontation mit Rußland hatte der Westen jedoch kein Interesse. Auf der NATO-Tagung in Bukarest im Frühjahr hatte sich die US-Regierung gegenüber Deutschland und Frankreich nicht mit ihrem Vorhaben durchsetzen können, dem unsicheren Kantonisten Georgien den Weg in die NATO zu ebnen.

Daß es dennoch zum Krieg kam, erklärt Putin in dem ARD-Interview – auch diese Passage wurde im Beitrag der ARD gekürzt – mit den Interessen von Teilen der US-Administration, die mit einer Strategie der Spannung Wahlhilfe für den republikanischen Präsidentschaftsbewerber McCain hätten betreiben wollen. Diese These erscheint insofern plausibel, als den US-amerikanischen Militärberatern die Kriegsvorbereitungen Georgiens kaum verborgen geblieben sein dürften. Laut Angaben der georgischen Opposition hatte Außenministerin Rice die georgische Regierung aber vor dem Versuch gewarnt, den Status Quo mit militärischer Gewalt verändern zu wollen.[13] Offenbar gab es jedoch in den USA konkurrierende Positionen in dieser Frage. In der US-Presse wurde darüber spekuliert, daß der wichtigste Lobbyist georgischer Interessen in den USA, Randy Scheunemann, der gleichzeitig zu McCains Wahlkampf-Team gehört, im Auftrage McCains der georgischen Führung Rückendeckung signalisiert habe.[14] Im „Freitag“ wurde diese Vermutung auch von Egon Bahr geäußert.[15] Zieht man die These hinzu, nach der es der georgischen politischen Kultur entspricht, sich auf Absichtserklärungen zu verlassen, die anderen als vage erscheinen mögen,[16] und stellt in Rechnung, daß die Regierung Saakaschwili im Falle Adschariens sowie bei der Besetzung des Kodori-Tales aus ihrer Sicht durchaus Erfolge hatte verbuchen können, wird ihre Fehleinschätzung in Bezug auf Südossetien plausibel.

Für die US-Republikaner hatten die Spannungen mit Rußland durchaus einen Vorteil: Unter dem Eindruck des Kaukasus-Krieges gelang es der US-Administration, den von Rußland bekämpften Aufbau einer Raketenabwehr in Polen durchzusetzen und die ehemaligen Staaten des Ostblocks zu einer demonstrativen Solidarisierung mit der georgischen Regierung zu gewinnen, was in der Ukraine unmittelbar zu einer Regierungskrise führte.

Die westeuropäischen Staaten haben abweichend von den USA eine moderatere Linie eingeschlagen. Selbst in deutschen Medien setzte sich die Erkenntnis durch, daß man die Kooperation mit Rußland keineswegs aufkündigen könne, solange man nicht auf die Exportmöglichkeiten auf dem russischen Markt verzichten möchte, von Energieimporten aus Rußland abhängig ist und zudem der Nachschub nach Afghanistan über russisches Gebiet abgewickelt wird. Putin warb in dem ARD-Interview daher auch nachdrücklich dafür, sich vom US-amerikanischen Einfluß zu lösen. Ein größerer Druck auf die US-Administration ist jedoch insbesondere von der deutschen Regierung nicht zu erwarten, solange weiterhin das Ziel verfolgt wird, den Kosovo aus dem jugoslawischen Staatsgebiet herauszutrennen.

Der einzige erfreuliche Aspekt der Kaukasus-Krise besteht darin, daß die russischen Kooperationspartner in Asien – wie im Falle des Kosovo – sich der weiteren Zerstörung des Völkerrechts widersetzt haben. Auf kurze Sicht wird es kaum eine Eingliederung von Südossetien und Abchasien in russisches Staatsgebiet geben. Ebensowenig ist mit der baldigen Verschmelzung des Kosovo mit Albanien zu rechnen.[17] Da alle drei Gebiete als eigene Staatsgebiete kaum lebensfähig sind, wird ihr Status der von Protektoraten bleiben.

Die weltpolitische Auseinandersetzung zwischen Rußland und dem Westen wird sich zukünftig vor allem auf die Ukraine konzentrieren. Da es hier keine völkerrechtlich offenen Fragen gibt, wird diese Auseinandersetzung wie bisher vor allem innenpolitischer Natur sein, indirekte Einmischungen von außen eingeschlossen. Inwieweit sich die außenpolitischen Optionen Rußlands langfristig verändern, ist noch nicht abzusehen. Mittlerweile wird über eine Annäherung Rußlands an den Iran spekuliert, und die symbolische Unterstützung des Kreml für Bolivien und Venezuela – ein russischer Flottenverband wurde in die Karibik geschickt – verheißt ebensowenig Gutes wie die Drohgebärden der USA im Schwarzen Meer. Die außenpolitischen Ambitionen der USA sind freilich durch die Desaster im Irak und in Afghanistan mit einer schweren Hypothek belastet. Sollten die US-Demokraten die Präsidentschaftswahlen gewinnen, besteht die Möglichkeit, die Falken in der US-Administration zu isolieren und den internationalen Rüstungswettlauf zu bremsen. Letztlich lassen sich kapitalistische Interessengruppen nur durch innenpolitischen Druck von Kriegsabenteuern abhalten. Diesen Druck zu erhöhen und die Regierungen zu Abrüstungsinitiativen zu bewegen, ist eine vordringliche Aufgabe der politischen Linken weltweit.

Anmerkungen:

[1] Daß sich Rußland außenpolitisch isoliert habe, stellt sich nur für die Mehrheit der deutschen Medien dar. Vgl. Gregor Kritidis, Schachmatt am Kaukasus. (Alle Zugriffe v. 22.9.2008). Meine dort vorgetragene These, Georgien habe sich mit diesem Krieg Nato-tauglich machen wollen, wird im folgenden weitgehend relativiert, obwohl diese Motivation eine Rolle gespielt haben mag.

[2] Vgl. www.tagesschau.de/...

[3] Vgl. blog.tagesschau.de.

[4] Informationen am Morgen. DF v. 3.9.2008.

[5] Vgl. putin-ard.blogspot.com.

[6] taz v. 11.8.2008. Jürgen Gottschalk hat in derselben Ausgabe dagegen eine brauchbare Analyse vorgelegt.

[7] Vgl. „Ein Rückzug aus Afghanistan wäre das falsche Signal.“ Interview mit Frank Walter Steinmeier in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung v. 4.9.2008; sowie den Brief des Abgeordneten Wimmer an Steinmeier. Blätter für deutsche und internationale Politik 9/2008. S. 116f.

[8] „Ich sehe keine härtere Gangart bei Russland“. Interview mit Egon Bahr. Freitag v. 29.8.2008.

[9] Vgl. dazu die umfassende Studie von Marcus Hawel, Die normalisierte Nation – Vergangenheitsbewältigung und Außenpolitik in Deutschland. Hannover 2007.

[10] Zur Kritik an der westlichen Kossovo-Politik vgl. die Stellungsnahme der International Lawyers Against Nuclear Arms. Blätter für deutsche und internationale Politik 9/2008. S. 118ff.

[11] Reinhard Müller, Kosovo – der falsche Vergleich. FAZ v. 22.8.2008.

[12] Vgl. Hawel, Nation. S. 250.

[13] Freitag v. 29.8.2008.

[14] Rosa Brooks, Who got Georgia into this? Actions by Bush and McCain misled the country into thinking the U.S. would come to its aid. Los Angeles Times v. 14.8.2008 (Zugriff v. 29.09.2008); Matt Kelley, McCain adviser's work as lobbyist comes to light. USA Today v. 20.5.2008 (Zugriff v. 29.9.2008); vgl. JW v. 30.8.2008.

[15] Freitag v. 29.8.2008.

[16] Diese von Devi Dumbadze in der NZZ vertretene These ist zusammengefasst bei Uwe Halbach, Kaukasische Gräben. Blätter für deutsche und internationale Politik 9/2008. S. 26.

[17] So die These von Giorgos Delastik in der Wochenzeitung Prin v. 31.8.2008.

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https://sopos.org/aufsaetze/4935d82eb44ec/1.phtml

sopos 12/2008