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Der abgestandene Antisozialismus des Herrn Pofalla

von Gregor Kritidis (sopos)

In der Frankfurter Rundschau vom 29. Mai 2008 ist ein Gastbeitrag von CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla unter dem Titel: Gegen alle Vernunft abgedruckt worden, der die zentrale These beinhaltet, die Geschichte der SPD sei maßgeblich vom Kampf gegen den Marxismus bestimmt worden und solle sich daher von der Linkspartei fernhalten.
Unser Sopos-Redakteur hat daraufhin folgenden Leserbrief an die FR gerichtet.

Herr Pofalla mag ein begabter Parteipolitiker sein. Seine Versuche, den Leserinnen und Lesern der FR die Geschichte der Sozialdemokratie zu erklären, zwingen dagegen jeden Historiker, der es ernst mit wissenschaftlicher Erkenntnis meint, zu energischem Widerspruch.

Die Geschichte der SPD, so Pofalla, sei seit dem 19. Jahrhundert "im Grunde eine der Abweisung des Marxismus". Diese abwegige These ist nur dadurch zu erklären, daß er auf die Unkenntnis des Publikums setzt. Die SPD und ihre führenden Funktionäre und Theoretiker bekannten sich ebenso wie die II. Internationale in ihren Programmen und Schriften ausdrücklich und fast ausschließlich zu den Auffassungen von Marx und Engels, während die Lassalleanische Unterströmung ebenso wie der Anarchismus praktisch keine Rolle spielten. Es sei daran erinnert, daß Lenin sich vor 1914 wiederholt positiv auf Kautsky bezogen hat, den er als marxistischen Theoretiker ebenso schätzte wie Rudolf Hilferding, den Verfasser des ‚Finanzkapitals', das als vierter Band des ‚Kapitals' betrachtet wurde. Ebenso abwegig ist die implizite Gegenüberstellung von Reform und Revolution - eine These, die von der marxistischen Sozialdemokratin Rosa Luxemburg in ihrer einschlägigen Schrift zurückgewiesen wurde: Die besten Reformisten seien die Revolutionäre, die sie stets darauf hinweisen müßten, daß man sich nicht der Illusion hingeben dürfe, angesichts der Krisendynamik des kapitalistischen Vergesellschaftungsprozesses seien die Ergebnisse reformerischer Anstrengungen dauerhaft zu sichern. Selbst Luxemburgs theoretischer Gegenspieler in der SPD, Eduard Bernstein, hat sich übrigens zu recht als Marxist verstanden. Es war das marxistische Zentrum der Partei, daß sich im I. Weltkrieg gegen die Mehrheit der Reichstagsfraktion in der USPD zusammenfand. Die Gründung der Spartakusgruppe und der KPD erfolgte ebenso aus Opposition gegen den Kurs der Selbstzerstörung der Mehrheits-SPD um Friedrich Ebert, die es vorgezogen hatte den expansionistischen Krieg des Kaiserreiches zu unterstützen. Daß die MSPD im Bündnis mit dem Bürgertum die Republik vor dem Bolschewismus gerettet hat, ist ein Mythos, der Anfang der 60er Jahre u.a. von Peter von Oertzen - auch so ein Marxist in der SPD - demontiert worden ist. Das Gegenteil ist zutreffend: Die Rätebewegung, welche die MSPD unter der Führung von Ebert und Noske von den faschistischen Freikorps im Blut ersticken ließ, stellte ein genuin demokratisches Potential dar, das neben der staatlichen auch die ökonomische Sphäre zu demokratisieren beabsichtigte - nichts anderes ist übrigens Sozialismus im alten Verständnis der marxistischen Sozialdemokratie.

Die Stalinisierung der KPD stellt in der Tat ein trauriges Kapitel in der Geschichte der Arbeiterbewegung dar, zerstörte sie doch den historischen Legitimationskern des radikalen Flügels der Arbeiterbewegung und führte zum Ausschluß der besten Kräfte aus der KPD. Die historische Schuld, den Faschismus nicht verhindert zu haben, wiegt schwer - aber diese Schuld lastet auch auf der SPD, die - einem illusionären Etatismus folgend - nicht das Risiko eines Bürgerkrieges auf sich zu nehmen wagte. Von der katholischen Arbeiterbewegung sei hier einmal abgesehen, und den bürgerlichen Parteien wird man kaum unterstellen können, das ‚Dritte Reich' energisch bekämpft zu haben.

Die Konsequenzen, die nach 1945 aus faschistischem Terror und Krieg gezogen wurden, waren weitreichend und von an Marx orientierten Grundpositionen getragen. So sollten die Schlüsselindustrien und die Großbanken vergesellschaftet - nicht verstaatlicht - und eine überbetriebliche Mitbestimmung etabliert werden. Diese Positionen wurden auch von der katholischen Arbeiterbewegung vertreten. Im Ahlener Programm der CDU von 1947 - es handelt sich bereits um einen abgeschwächten Kompromiß - heißt es programmatisch: "Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden." Die weitgehenden Sozialisierungsvorhaben, die von einer Koalition aus SPD, KPD und CDU getragen wurden und etwa in die hessische Verfassung Eingang fanden, wurden erst auf Intervention der Besatzungsbehörden gestoppt und verhalfen den restaurativen Kräften um Konrad Adener zur Vorherrschaft.

Herr Pofalla weist zu recht auf die vor allem nach 1948 in die Bundesrepublik geflüchteten Sozialdemokraten hin. Mitnichten handelte es sich jedoch um Antimarxisten, wie er nahelegt. Im Gegenteil, jemand wie Leo Kofler lehnte die Zusammenarbeit mit den britischen Behörden in West-Berlin explizit mit dem Hinweis ab, er sei schließlich Marxist. Im übrigen stammen von Kofler die brillantesten Analysen des Stalinismus, die auch heute noch die meisten wissenschaftlichen Abhandlungen über die DDR weit hinter sich lassen.

Wie es den Marxisten in der Bundesrepublik erging, übergeht Herr Pofalla in seiner Unkenntnis. Nach dem Verbot der westdeutschen FDJ 1951 begann jenseits der SPD eine no-go-area. Die schrittweise Illegalisierung des Parteikommunismus richtete sich aber nicht nur gegen deren Aktivisten - bis 1968 gab es über 120.000 Ermittlungsverfahren, wobei die Partei beim Gang in den Untergrund über gerade einmal 12.000 Mitglieder verfügte. Wer irgendwelche Kontakte zu Kommunisten hatte oder - ohne es zu wissen - Argumente vertrat, die auch von Kommunisten vertreten wurden, machte sich strafbar. 1958 wurde einem engen Weggefährten Kurt Schumachers, den Pofalla so dreist für seine Position zu reklamieren versucht, der politische Prozeß gemacht: Viktor Agartz, nach dem Krieg eine Art Wirtschaftsminister in der Bizone, mußte jedoch aufgrund der glänzenden Verteidigung des späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann vom Vorwurf des Landesverrats freigesprochen werden. Heinemanns Anwaltskollege Diether Posser hat in diesem Zusammenhang von einer Art Bürgerkriegs-Justiz in Westdeutschland gesprochen.

Daß Herr Pofalla in seiner Unkenntnis die Geschichte des Marxismus umstandslos mit der der SED gleichsetzt, mag man ihm nachsehen. Daß er sich mit den Traditionen seiner eigenen Partei, deren sozialistischer Linkskatholizismus in die Gründungsdokumente der Bundesrepublik eingegangen ist, nicht auskennt, wirft ein Schlaglicht auf die Geschichtsblindheit der CDU, die meint, im Namen der Globalisierung die demokratischen und sozialen Fundamente des Grundgesetzes folgenlos aushöhlen zu können. Nun folgt die Union blind denjenigen autoritär-obrigkeitsstaatlichen Traditionen, die zum Scheitern der Weimarer Republik geführt haben und die Konrad Adenauer unter dem Schutzschirm der Alliierten nach 1945 in Kooperation mit zahlreichen Altnazis, die in höchste Staatsämter integriert wurden, restauriert hat.

Die politische Linke bezieht ihre Legitimation aus der Politik der großen Koalition, die immer mehr Menschen ihrer demokratischen und sozialen Mitwirkungsrechte beraubt. Im Bewußtsein der Verbrechen des letzten Jahrhunderts hat die Linke sich der Aufgabe zu stellen, ein neues emanzipatives Projekts zu entwickeln. Herr Pofalla bietet dagegen einen abgestandenen Antisozialismus, der nicht für die geistigen Kapazitäten der Union spricht.

Dr. Gregor Kritidis ist Sozialwissenschaftler, Mitherausgeber der sopos und lehrt zur Zeit am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Leibniz Universität Hannover.

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sopos 6/2008