Zur normalen Fassung

Einsetzung der Föderalismuskommission

Ein weiterer Schritt zur neoliberalen Formierung der Bundesrepublik Deutschland

von Stefan Janson

Am 17. Oktober 2003 hat der Bundesrat die Einsetzung einer gemeinsamen Kommission mit dem Bundestag "zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung" beschlossen, nachdem mit breiter Mehrheit am Tag zuvor der Bundestag einem entsprechenden interfraktionellen Antrag zugestimmt hatte. Damit ist, so meine These, ein weiterer Anlauf dazu genommen worden, die Formierung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne einer neoliberalen "Wettbewerbsordnung" voranzutreiben.

Die Tendenz und die Geschichte der Diskussion um die "Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung" ist geprägt von einem Diskurs der Entsolidarisierung, der Aufkündigung wohlfahrtsstaatlicher, auch verfassungspolitisch konsentierter Ausgleichsmechanismen in der föderalen Ordnung Deutschlands und einem dem Neoliberalismus zumindest nahe stehenden Leitbild der Republik als einem "föderalen Wettbewerbsstaat", der eine Umgestaltung jenseits einer Solidarordnung forciert und den Keim der Auflösung der Bundesrepublik, so wie wir sie kennen, in sich birgt. Das frappierendste daran aber ist, daß sich so wenig Gegenwehr zeigt. Zur Herausbildung einer solchen politischen Gegenwehr soll dieser Artikel beitragen.

Im Folgenden sollen Ansatz, Geschichte und Philosophie des Themas dargestellt sowie zum Abschluß eine Einschätzung der Erfolgsaussichten für dieses ehrgeizige Unternehmen einer politischen Neuformierung der Bundesrepublik Deutschland zu einem "föderalen Wettbewerbsstaat" unternommen werden.

Verfassungspolitischer Auftrag: Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland

Der politische Paradigmenwechsel, der im März 2003 durch die endgültige Hinwendung der Regierungskoalition zum neoliberalen Konsensus des EU-Rates in Lissabon von 2002 markiert wird und in der Einsetzung der Föderalismuskommission seine Fortsetzung findet, wird besser verständlich, wenn man sich kurz den Status quo ante der herrschenden Verfassungsrechtslehre vergegenwärtigt. Darin bildet sich - mehr oder minder - der Stand des Konsenses zwischen den Fraktionen der politischen Eliten ab. Verschiebungen in den Argumentationen und Figuren der "herrschenden Lehre" deuten daher immer auch auf Verschiebungen in der politischen Tektonik, geben Hinweise auf neue politische Kräfteverhältnisse und die Herausbildung neuer ideologischer Hegemonien.

Die Bundesrepublik ist nach Artikel 20 des Grundgesetzes ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat. In mehreren Schüben - von den Vorarbeiten zum Grundgesetz über die mit dem Modernisierungsschub Ende der 60er Jahre einhergehende Neuordnung der föderalen Kompetenzordnung bis hin zur Herstellung der deutschen Einheit 1990 - ist aus diesem Grundsatz heraus eine bundesstaatliche Ordnung geschaffen worden, in der der Finanzausgleich zwischen Bund und den Ländern zentrale sozialstaatliche als auch eine bundesstaatliche Funktionen innehatte. Staaten müssen ihre Ausgaben aus Zöllen, Abgaben, Gebühren und Steuern bestreiten. In einem Bundesstaat führt dies zunächst zu einem System, in dem die einzelnen Bundesländer entsprechend ihrer regionalen Leistungsfähigkeit und Steuerkraft Finanzmittel einspielen.

Im Zuge der Konstituierung der Bundesrepublik als Schaufenster des "Rheinischen Kapitalismus" gegenüber den staatskapitalistischen Systemen im Osten wäre ein im Ergebnis heterogener, je nach Wirtschafts- und Steuerkraft der Bundesländer ausgerichteter Aufbau von Verwaltung und Infrastruktur kein überzeugendes Modell gewesen, zumal die staatskapitalistischen Ostblockstaaten in der ersten Hälfte der 50er-Jahre mit ihren zentralstaatlichen Planungsbürokratien ökonomisch und sozialpolitisch durchaus respektable Aufbauleistungen vorzuweisen hatten.

Die Systemkonkurrenz nach außen und das daraus ableitbare Erfordernis der möglichst gleichmäßigen Einbindung der sozialen Klassen in den kompromißhaften "Rheinischen Kapitalismus" nach innen drängten daher auf ein System des finanziellen Ausgleichs von Entwicklungsunterschieden hin, von denen die Bundesrepublik auch heute noch geprägt ist, wie aus den Unterschieden der Wirtschafts- und Siedlungsstruktur zwischen den alten nördlichen und südlichen Bundesländern leicht ablesbar ist. Sichtbareren Ausdruck hat dieser politische Wille in den Regelungen der Art. 72 Abs. 2 sowie Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Ziffer 2 des Grundgesetzes gefunden. In Art. 72 Abs. 2 hat der Bund das Gesetzgebungsrecht, "wenn und so weit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse" erforderlich ist. Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Ziff. 2 GG legt die Grundsätze für die Verteilung der Umsatzsteuer fest: auch dabei geht es um die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet.

Das Ziel eines zumindest annähernd gleichen Versorgungsniveaus durch den Länderfinanzausgleich, einer abgestimmte regionale Struktur- und Raumordnungspolitik sowie die Erhaltung der föderativen Solidarität gegenüber dem Bund und die Gleichberechtigung der Länder sind die verfassungspolitischen Topoi einer Republik, die ihre Funktionsfähigkeit als auf kapitalistischer Grundlage funktionierendes Modell einer parlamentarischen, föderalistischen Demokratie zu beweisen hatte.

Dieser Anreiz verlor mit dem Ende des Ostblocks sofort an Wirksamkeit. Das Erfordernis, die neuen Länder in die Bundesrepublik zu integrieren, führte zwar 1995 noch einmal zu einer Novellierung des Finanzausgleichgesetzes, das die Erfordernisse der Solidarität beherzigte; doch schon bei der Gewährung von Sonderzahlungen des Bundes an die chronisch defizitären Länder Bremen, Berlin und das Saarland zeichnete sich das Ende der wohlfahrtstaatlichen Ausgleichsregelung ab, weil das Murren der wirtschaftsstarken westdeutschen Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen über die kleineren Kostgänger unüberhörbar geworden war. Die Diskussion über den Länderfinanzausgleich ging damit in eine neue Runde, nachdem die auf der Ebene der Finanzminister zwischen September 1991 und März 1993 durchgeführten Bestandsaufnahmen nicht weiter verfolgt und keine politischen Konsequenzen gezeitigt hatten.

Exkurs: Länderfinanzausgleich

Nun soll das Angriffsziel der Diskussion um den Länderfinanzausgleich kurz skizziert werden. Dem oben dargestellten verfassungsrechtlichen Leitbild entspricht eine feinziselierte Ausgleichsordnung, die ihre erste Bewährungsprobe mit dem Beitritt der neuen Länder in heftigen politischen Auseinandersetzungen zu bestehen hatte.

Dieser Länderfinanzausgleich wird durch das Finanzausgleichsgesetz (FAG) geregelt, das umfassende und komplizierte Ausgleichsregelungen zwischen den Ländern und vom Bund an die Länder enthält. Die Komplexität und mithin eingeschränkte Transparenz der Regelungen hat erheblich dazu beigetragen, daß dieses Regelwerk in die neoliberale Kritik geraten ist. Es sind nun die "schrecklichen Vereinfacher" am Werk, vordergründig einleuchtendes Argument fehlender "Transparenz und Responsivität"[1] doch nur das Ergebnis verdeckt, das angestrebt wird: Die finanzielle Umverteilung zu Lasten schwacher Bundesländer. Wie bei den Sozialsystemen auch ist der Schwachpunkt des Finanzausgleichs der bürokratische Aufwand und seine Komplexität. In Zeiten der grenzenlosen Kritik an "Überregulierung" und "Bürokratie" sind solche Regulationen allein schon vom äußeren Anschein her etatistische Dinosaurier, die den alten und neuen Drachentötern vom Orden der Marktwirtschaftler leichte Beute verheißen.

Die Kritik am Länderfinanzausgleich als dem ökonomischen Kernstück der bundesdeutschen Finanzverteilung fordert aber einen genaueren Blick auf dieses Regelwerk heraus: zunächst werden in einem ersten Schritt die den Ländern zustehenden Steuern nach den Regeln des Zerlegungsgesetzes verteilt. Länder, deren Einnahmen unter 92 % des Länderdurchschnitts liegen, erhalten aus dem Länderanteil an der Umsatzsteuer Ergänzungsanteile, den sog. Umsatzsteuer-Vorwegausgleich. Bezogen auf die Einnahmen findet dann ein Ausgleich der Finanzkraft durch Zahlungen zwischen den Ländern statt, der so genannte horizontale Länderfinanzausgleich. Von den Einnahmen werden auf Grund der Sonderbelastungen für die Seehäfen bei Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen bestimmte Beträge abgesetzt. Nach Herstellung dieser Rechenbasis werden "Finanzkraftmeßzahl" und "Ausgleichsmeßzahl" miteinander verglichen. Dabei orientiert sich die Ausgleichsmeßzahl an der Einwohnerzahl, wobei die Belastung der großen Stadtstaaten wegen der Metropolenfunktion und des damit einhergehenden erhöhten Bedarfs an öffentlichen Einrichtungen ihre Einwohnerzahl mit 135% in die Rechung einfließen lassen können. Nach dieser ersten Stufe in diesem komplizierten Ausgleichssystem erreicht die Finanzkraft jedes Landes mindestens 95 % des Bundesdurchschnitts, wobei sich die Reihenfolge bei den Geberländern nicht ändert, d.h. ein Land, das an Erster Stelle steht, bleibt auch nach diesem "horizontalen Finanzausgleich" an erster Stelle. 1998, im Jahr des Beginns der Debatte um die Neuregelung des Finanzausgleichs und der "Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung", wurden ca. 12 Milliarden DM bewegt, zum weitaus größten Teil in die neuen Bundesländer.

Auf den horizontalen setzt in einem zweiten Schritt der "vertikale Finanzausgleich" auf, d.i. die Verbesserung der Finanzkraft der Länder durch Bundesergänzungszuweisungen, die politische und wirtschaftliche Sondersituationen in den Ländern berücksichtigen. Dabei werden durch Zahlungen des Bundes, den so genannten "Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen" (Fehlbetrags-BEZ), die Länder an mindestens 99,5 % der durchschnittlichen Finanzkraft aller Bundesländer herangeführt. Auch hierdurch wird die Reihenfolge bei den Geberländern nicht berührt, die finanzschwachen Länder rücken lediglich an die finanzstarken heran.

Für die politische Debatte spielten aber die Sonderbedarfs-BEZ eine entscheidende Rolle. Diese Zahlungen des Bundes an die Länder resultierten aus den besonderen Belastungen, die sich für die neuen Bundesländer und Berlin aus den Folgen der Teilung und zum Ausgleich der weit unterproportionalen kommunalen Finanzkraft ergaben (1998: 14 Milliarden DM), "Kosten politischer Führung" als politische Kompensation an die kleineren Westländer (Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Saarland, Bremen, Berlin, insgesamt 1998 1,5 Mrd. DM), Übergangs-BEZ an die finanzschwachen alten Länder, die durch die Einbeziehung der neuen Länder in den Länderfinanzausgleich von Nehmer- zu Geberländern zu werden drohten (1,3 Mrd. DM) und Sanierungs-BEZ als befristete Sonderleistungen für Bremen und das Saarland, um deren marode Länderhaushalte zu stützen (3,4 Mrd.). Dieses Ausgleichsystem wurde 1995 einvernehmlich zwischen den Bundesländern vereinbart.

Die ganze Komplexität des Länderfinanzausgleichs ist damit im Wesentlichen dem Paradigma der bisherigen bundesdeutschen Finanzmittelverteilung geschuldet: diese "Ausgleichsregelung ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den Geboten der sozialen Gerechtigkeit und föderativen Solidarität einerseits und dem legitimen Streben der Länder und Gemeinden nach Eigenständigkeit, Selbstverwaltung und Gestaltungsfreiheit andererseits."[2]

Die Einführung des Standortwettbewerbs im Bundesstaat

Die erst auf der Ebene der Sonderbedarfs-BEZ entstehende Schieflage zwischen der Finanzkraft der West-Ost, großen und kleinen Stadtstaaten und Flächenländer gab Bayern und Baden-Württemberg den Anlaß, bereits 1998 eine politische Offensive einzuleiten, die angesichts des in diesem Jahr neu zu regelnden Länderfinanzausgleichs einige Brisanz aufwies. Die beiden süddeutschen Länder stellten im März 1998 ein Modell vor, mit dem das gesamte Ausgleichssystem zu Lasten der finanzschwachen Länder geändert worden wäre. Der Umsatzsteuervorwegausgleich sollte abgeschafft, Hafenlasten und Einwohnerwertungen unberücksichtigt bleiben, die Fehlbetrags- und Sonderbedarfs-BEZ für Kosten der politischen Führung entfallen. Überschüsse und Fehlbeträge sollten nur zu 50% abgeschöpft und ausgeglichen werden. Weiter ging nach Auffassung der CDU-CSU-Regierungen dieser beiden Bundesländer die Solidarpflicht finanzstarker gegenüber schwachen Ländern nicht.

Propagandistisch abgestützt wurde diese politische Offensive durch eine Vielzahl von publizistischer Begleitmusik, wie sie beispielhaft in der Studie "Föderaler Wettbewerb statt Verteilungsstreit" vom Institut für Wirtschaft und Gesellschaft unter Leitung des sattsam bekannten Prof. Meinhard Miegel aufgespielt wird.[3]

Das bisherige System habe nicht vermocht, die anfänglichen Unterschiede in der Wirtschaftskraft der westdeutschen Länder zu verringern, eine ähnliche Entwicklung könne sich in Ostdeutschland anbahnen. Ein wichtiger Teil des Leistungsgefälles zwischen den Ländern lasse sich auf deren ungleichen Zuschnitt zurückführen. Zur Herstellung materiell einheitlicher oder gleichwertiger Lebensverhältnisse nehme der Staat ständig eine massive Umverteilung zwischen den Ländern vor, ebne ursprüngliche Unterschiede in der Finanzkraft der Länder weitgehend ein und sorge dafür, daß ein erheblicher Teil der gesamten Steuer- und Beitragseinnahmen jeweils nicht in den Ländern verausgabt werde, in denen er vereinnahmt wurde. Daraus wird die Notwendigkeit einer Neuverteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern, die Neugliederung der Länder (sieben statt sechzehn) und eine Reform der föderalen Finanzverfassung abgeleitet, wobei von der vorgeschlagene Neustrukturierung des Finanzausgleichs eine massive Schlechterstellung der Stadtstaaten und damit ein ökonomischer Zwang zur Länderneugliederung ausgehen sollte. Gewinner dieses Modells: Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Massiv dagegen die Schlechterstellung der Stadtstaaten, die - so der zynische Hinweise in der Studie - "teilweise durch die angrenzenden Flächenländer bilateral ausgeglichen werden" müßte. Also durch die sowieso durch Standortgunst nicht gerade geschlagenen Länder Brandenburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein! Ein anderes Ergebnis anzunehmen, wäre allerdings auch töricht gewesen.

Diese Studie fordert apodiktisch: die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse (Art. 72 Abs. 2 GG) sei darauf zu beschränken, "ein Mindestmaß an öffentlicher Infrastruktur und Daseinsvorsorge"[4] zu schaffen, die "im Rahmen gebietstypischer Gegebenheiten ausreichende Wahlmöglichkeiten und weitgehende Chancengleichheit in der persönlichen Entfaltung gewährt" bzw. auf Maßnahmen einer gesetzlichen Grundsicherung reduziert wird. Damit ist der Ansatz einer bündischen Solidarpflicht aufgegeben, die daraus resultierende Ausgleichs- und Beistandspflicht ohne politische Anspruchsgrundlage.

Etappensieg der föderalen Wohlstandschauvinisten

Die Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen klagten vor dem Bundesverfassungsgericht und erwirkten am 11. November 1999 ein Urteil zum bundesstaatlichen Finanzausgleich, mit dem das geltende FAG nur noch als Übergangsrecht fortgelten durfte. Anknüpfungspunkt für die Entscheidung des Gerichts ist das quasi organische politische Wachstum des FAG, dessen Ausgleichs- und Umverteilungsmaßstäbe keine wissenschaftliche, sondern eine in politischen Aushandlungsprozessen gewachsene Struktur aufweist und dementsprechend in den Jahrzehnten seiner Genese komplizierte und unbefangener Schau nicht immer zugängliche Regelungen enthält. Das Gericht forderte daher ein Maßstäbegesetzes, das objektivierbare Grundlagen für die Ausgleichsmechanismen bis 2003 bereitstellt, und ein völlig neues Finanzausgleichsgesetzes bis 2005 ein. Mit dem Maßstäbegesetz sollten die Maßstäbe für die Umsatzsteuerverteilung, den Länderfinanzausgleich und die Bundesergänzungszuweisungen definiert werden. Politisch interessant aber ist das Korsett, welches das Gericht dem Bund aufzwingt, wenn es schreibt: Der Finanzausgleich sei kein Mittel, um ein System durchzusetzen, "das etwa allein vom Gedanken der finanziellen Gleichheit der Länder geprägt wird, ihre Eigenstaatlichkeit und Eigenverantwortung jedoch nicht mehr berücksichtigt." Nicht die finanzielle Gleichstellung der Länder, sondern eine ihren Aufgaben entsprechende hinreichende Annäherung ihrer Finanzkraft sei gefordert. Die Maßstäbe dürften die Leistungsfähigkeit der gebenden Länder nicht entscheidend schwächen oder zu einer Nivellierung der Länderfinanzen führen.[5]

In der sich anschließenden Diskussion feierte der Wettbewerbsföderalismus seinen ersten Sieg. Beispielhaft gaben die Finanzminister der klagenden Länder 2000 in der Finanzministerkonferenz zu Protokoll, daß sie ihre Einnahmesituation regelnd zu beeinflussen wünschten, da sich die Qualität einer Finanz- und Wirtschaftspolitik eines Landes insbesondere an der Höhe der Einkommens- und Körperschaftssteuer zeige. Deshalb begehrten sie ein Tarifgestaltungs- und Zuschlagsrecht für die Länder bei diesen Steuerarten, was die maßgeblich historisch bedingten wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Ländern noch weiter verstärkt hätte.

Der Einfluß neoliberalen Denkens in der Diskussion zeigte sich aber auch daran, daß im Bundestags-Sonderausschuß zur Beratung eines Maßstäbegesetzes Anfang 2001 der damalige grüne Bundestagsabgeordnete Metzger nach weiteren Möglichkeiten zur Förderung des Anreizgedankens fragte und vom Bundesfinanzministerium keine Abfuhr bekam, sondern bereitwillig verschiedene Optionen vorgestellt wurden, mit denen finanzschwächere Länder schwerlich hätten leben können.

Ob ein Land von einem sozial- oder christdemokratischen Ministerpräsidenten regiert wurde, ob eine Koalition mit der PDS oder ein Tolerierungsmodell existierte, all das spielte kaum eine Rolle. Nebenbei gesagt waren die "Regierungssozialisten" in der Diskussion überhaupt nicht wahrzunehmen. Auf der einen Seite formierte sich ein bunter Kreis von finanzschwachen Ländern (der sogenannte "11er-Kreis"), dem auf der anderen Seite die vermeintlichen Gewinner gegenüberstanden, darunter der berüchtigte "Modernisierer" Clement. Dieser ließ sich am 18. Juni 2001 im Bundesrat auch entsprechend aus: "Anreizelemente tun allen Ländern gut, sie stärken das föderale System. Von steuerlichen Mehreinnahmen muß deshalb den Ländern - das gilt für Zahler wie für Empfänger - künftig ein größerer Eigenanteil bleiben."

Im Sommer 2001 war das Etappenziel erreicht: am 13. Juli stimmte der Bundesrat einem Maßstäbegesetz des Bundes zu, mit dem auf allen Stufen des Ausgleichssystems ein höherer Eigenanteil der Länder bei den Steuereinnahmen vorgesehen wurde. Höhere Steuereinnahmen werden somit weniger abgeschöpft bzw. niedrigere weniger ausgeglichen. So sinken die Ausgleichsbeiträge im Länderfinanzausgleich von 8.310 Mio. € im Jahre 2000 auf 7.398 Mio. im Jahre 2002. Lediglich für den Osten Deutschlands wurde eine Sonderregelung gefunden, die wegen des höheren Nachholbedarfs die Möglichkeit von Sonder-BEZ vorsieht.

Das Ende dieser Diskussion ist aber noch nicht erreicht: am 7. November 2003, unmittelbar vor Beginn der Beratungen der Föderalismuskommission, ließ der hessische Justizminister Wagner über die Deutsche Presseagentur verlautbaren, daß der Länderfinanzausgleich gänzlich abzuschaffen sei, da dies den Wettbewerb unter den Ländern fördern würde.

"Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung"

Einmal begonnen und auf die Ebene der Ministerpräsidenten gebracht, war dieses Thema in den politischen Diskursen der politischen Eliten präsent und in Permanenz auf der Tagesordnung. Hinzu kam nun die Frage einer Entflechtung der bundesstaatlichen Kompetenzen in der Gesetzgebung und der Mischfinanzierung von Aufgaben, die im Zuge der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung Ende der 60er Jahre geschaffen worden waren, um den Modernisierungsstau der Republik im Übergang vom adenauerschen Restaurations- zum sozialliberalen Wohlfahrtsstaat mit technokratischen Planungsansätzen aufzulösen.

Weder die SPD-geführten Bundesländer noch die Ostländer stellten auch nur den politischen Ansatz dieser Debatte in Frage, ein Indiz dafür, wie viel Blindheit oder gar Feigheit in den politischen Eliten und Spitzen der staatlichen Bürokratien gegenüber der sich verfestigenden neoliberalen Hegemonie versammelt ist: war man doch dabei, den Ast abzusägen, auf dem man zu sitzen pflegt. Im Juni 2000 war es dann soweit: die Ministerpräsidenten stimmten in Berlin unter dem Eindruck der erfolgreichen Verfassungsklage der reicheren Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen einer "kritischen Prüfung" der bundesstaatlichen Aufgabenverteilung "mit dem Ziel der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung" zu, wobei der Grundsatz gleichwertiger Lebensverhältnisse immerhin noch Erwähnung fand. Es handelte sich dabei um einen Formelkompromiß, wenn man rekapituliert, welche beschränkte Reichweite Ottnad/Linnartz ihm zubilligen wollten. Präziser wurde dieser Auftrag im Januar 2001 gefaßt:

Damit hatte sich auch insoweit die politische Agenda des "neoliberalen Antietatismus" durchgesetzt.

Das nach langen Verhandlungsrunden im März 2003 gefundene Angebot an den Bund zur Entflechtung von Gesetzgebungskompetenzen ist ein bunter Katalog von Begehrlichkeiten: die Länder wollen ausschließliche oder verbesserte Gesetzgebungskompetenzen in so wenig spannenden Bereichen wie im Notariatswesen, im Versammlungsrecht, im Wohnungswesen, aber auch in der Lärmbekämpfung, im Heimgesetz, beim Verfahren und den Zuständigkeiten der Sozialhilfe und des Kindergelds, bei der Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung, bei den Heilberufen, im Besoldungs- und Versorgungsrecht und in der außerschulischen Bildung, dem Presserecht, im öffentlichen Dienstrecht, im Hochschulwesen, im Jagdwesen, beim Naturschutz, aber auch in der Raumordnung und im Wasserhaushalt. Abstrus ist dabei die Vorstellung der Länder, für eine ganze Reihe von Regelungsmaterien eine konkurrierende Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern mit einem so genannten Zugriffsrecht der Länder zu fordern: der Bund behält sein Regelungsrecht, die Länder können aber ganz oder teilweise von der Regelung abweichende Gesetze beschließen, die dann in Kraft bleiben, wenn der Bund novelliert! Das ist eine Schnapsidee, die zwar den "Gesetzeswettbewerb" unter den Ländern befördern dürfte, aber eine völlig dysfunktionale Rechtszersplitterung erzeugten kann.

Auf der Agenda stehen in der am 20. November 2003 konstituierten Föderalismuskommission weiterhin die Rückführung von Zustimmungsrechten des Bundesrates und die Überprüfung von Gemeinschaftsaufgaben, bei denen Bund und Länder sich nach langwierigen Abstimmungsprozessen auf die Finanzierung von Vorhaben im Hochschul- und Bildungsbereich (u.a. in der Forschung und Bildungsplanung), in der regionalen Wirtschafts- und Agrarstruktur sowie im Küstenschutz verständigen.

Welche Philosophie dabei regieren wird, ist aus der Verhandlungsposition des Bundes deutlich abzulesen: "Der Modernisierungsbedarf besteht nicht nur im Bund-Länder-Verhältnis. Er besteht auch innerhalb der unmittelbaren Zuständigkeit des Bundes und der Länder. Handlungsautonomie und Eigenverantwortung müssen auf der jeweils richtigen Entscheidungsebene gestärkt werden, damit der Standort Deutschland Wirtschaftskraft und Lebensqualität gewinnt."[6]

Nicht vergessen werden darf, welche Rolle die neuen Bundesländer in diesem Konzert spielen. Schon kurz nach dem Beitritt der neuen Länder wurden unter dem ungeheuren infrastrukturellen Modernisierungsdruck Ausnahmegesetze geschaffen, die die Planungs- und Genehmigungsverfahren im Osten in erheblichem Umfang von störender Bürgerbeteiligung befreiten. Nur kurze Zeit später wurden eben diese gegenreformatorischen Gesetze dann unter dem Schlagwort des Kampfes gegen Bürokratie und zur Beseitigung von Investitionshemmnissen für kapitalistische Akkumulation auch im Westen Leitbilder eines zügigen Abbaus von Errungenschaften der Bürgerinitiativ- und Ökologiebewegung in der Bundesrepublik der 80er-Jahre. An vorderster Front dabei waren übrigens die damaligen Ministerpräsidenten Schröder und Rau bzw. Clement, die ganze Listen erarbeiten ließen, wo sich Gesetze im Sinne der Industrieverbände verschlanken ließen.

Diesen Vorreitercharakter haben die ostdeutschen Länder bis heute behalten. Am 20. März 2002 haben die Regierungschefs der ostdeutschen Länder im Rahmen der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung weitere Zuständigkeitslockerungen und Öffnungs- und Experimentierklauseln gefordert, jüngst sollen ganze Landstriche in Zusammenarbeit mit dem Bund zu Testregionen für "Bürokratieabbau" gemacht werden. Dahinter steht die Forderung des Deutschen Industrie- und Handeskammertages nach einer "möglichst unbürokratischen und wirtschaftsfreundlicheren Gesetzgebung und Verwaltungspraxis." Bezeichnenderweise sind alle drei benannten Testregionen Bestandteil sozialdemokratisch geführter Länder: Bremen, Ostwestfalen-Lippe und Westmecklenburg.

In der ganzen Diskussion um die "Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung" sind Forderungen nach mehr Partizipation und mehr direkter Demokratie bestenfalls marginal. Die noch bis zum Regierungsantritt der derzeitigen Koalition intensiv geführte Debatte um die Einführung plebiszitärer Elemente in die Bundesverfassung ist zwischen den Aktendeckeln des Bundesjustizministeriums abgelegt worden und es sieht nicht so aus, als ob in Zeiten eines sich regenden Widerstandes gegen den Sozialabbau daran gedacht sein könnte, den Staub von den Koalitionsvereinbarungen zu blasen. Modernisierung heißt knapp und eindeutig: innere und äußere Formierung des Staatsapparates nach den Anforderungen der nach dem Prinzip des shareholder value agierenden Wirtschaft. Daß sich innerhalb der bürokratischen Eliten Widerstand gegen diesen Formierungsprozeß herausbilden könnte, dafür gibt es derzeitig keine belastbaren Hinweise. Dies macht gerade die Tragik des sozialdemokratischen Flügels der Staatsbürokratie aus: sie hat keinerlei konzeptionelles Leitbild einer "anderen Moderne", die wenigstens die erreichten Standards der Bürgerinitiativbewegung der 80er-Jahre und deren Demokratiepotential verteidigt. Im Gegenteil hat sie dort, wo sie in Bund und Ländern regiert, im vorauseilenden Gehorsam solche Potentiale zerstört und politische und soziale Bürgerrechte abgeschafft. Die SPD hat so den Boden bereitet für die die Bourgeoisie besser repräsentierende Union. Unter der Fahne der "Modernisierung" richtet sie Recht und Verwaltung noch besser an den Anforderungen des Neoliberalismus aus. Sie hat in keiner Weise ein alternatives Modell in der Modernisierungsdebatte zur Diskussion gestellt und wird daher letzten Ende nicht nur in der Föderalismuskommission als Gegenpol zu den immer aggressiver werdenden Bürgerlichen ausfallen, sondern auch aus der Regierung vertrieben, weil sie weder den Neoliberalen, noch den wütender werdenden Lohnabhängigen irgend etwas nutzt.

Anmerkungen:

[1] Arndt u.a.: Zehn Vorschläge zur Reform des deutschen Föderalismus, Zeitschrift für Rechtspolitik, S. 201, 206.

[2] Fischer-Menshausen: Kommentar zu Art. 107 GG, Rz 5.

[3] Ottnad/Linnartz: Föderaler Wettbewerb statt Verteilungsstreit, Hrsg. IWG Bonn 1998.

[4] A.a.O., S. 170.

[5] Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.1999, Neue Juristische Wochenschrift 2000, S. 1097, 1099 (C I 2 c der Urteilsgründe).

[6] Position des Bundes an die Länder zu den Leitlinien der Länder zur Verhandlung mit dem Bund vom 10. April 2003, Ms. S. 1.

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sopos 2/2004