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Von Bagdad nach Pristina und von Pristina nach Kabul

von Utz Anhalt (sopos)


Ein Blick auf die Karte zeigt wundersame geostrategische Koordinaten zwischen dem Irak, Ex-Jugoslawien und Afghanistan: Hier, in Aserbajdschan, Turkmenistan, Kasachstan und Usbekistan liegen vermutlich die größten Erdöl- und Erdgasvorkommen der Welt.

Kein Blut für Öl!, lautete 1991 die Parole der Demonstranten gegen den von George Bush sen. geführten Golfkrieg. Damals war offensichtlich, daß die kuwaitische Königsfamilie die US-Regierung nicht so sehr zu Tränen rührte, daß diese aus reiner Menschlichkeit eingriff. Auch die Dämonisierung Saddam Husseins als "Hitler des Nahen Ostens" konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die USA Krieg führten, um ihren Lebenssaft, das Öl von Kuwait, zu sichern - Saddam Hussein ist bis heute in seiner Macht nicht angetastet. Gerade in Deutschland gab es 1991 eine breite linksliberale und antimilitaristische Öffentlichkeit, die die offensichtlichen Wirtschaftsinteressen der USA aufdeckte und die Medienmanipulationen in Zeiten des Krieges verdeutlichte. Während des Kosovo-Kriegs, der von einer rot-grünen Regierung geführt wurde, blieben die Stimmen der linksliberalen Öffentlichkeit marginal. Während im Ölkrieg die deutsche Bevölkerung noch tief gespalten war, machte sich im Orwellschen Neusprech des Kosovo-Kriegs derjenige verdächtig, auch gegen das Menschenrecht zu sein, der gegen den Krieg war.

Das amerikanische und westliche Kapital, daß diese Kriege finanzierte, denkt (wie jedes Kapital) nicht primär in ideologischen oder religiösen Bezugssystemen, sondern im kalten Kalkül einer materiellen Kosten-Nutzen-Rechnung. Während des Golfkriegs war der Aufschrei in der Bevölkerung groß, da dieser Zusammenhang offensichtlich war. In den jugoslawischen Bürgerkriegen traten die ökonomischen Zusammenhänge dagegen nicht so offensichtlich zutage. Mansoor Ijaz, amerikanischer Muslim pakistanischer Abstammung, überreichte 1997 der amerikanischen Regierung unter Bill Clinton ein Angebot des fundamentalistischen Regimes im Sudan, Antiterroreinheiten nach islamischen Terroristen suchen zu lassen und sich vor Ort zu überzeugen, daß der Sudan keine Chemiewaffen produziere. Um guten Willen zu demonstrieren, wies die Regierung des Sudan Osama Bin Laden außer Landes. Bill Clinton ließ damals eine Fabrik bombardieren, in der Medikamente hergestellt wurden. Das Ziel war falsch und das Bombardement schürte zusätzlichen Haß bei verarmten Moslems. Osama Bin Laden setzte sich nach Afghanistan ab.[1]

Das US-amerikanische Kapital denkt und handelt im Weltmaßstab, und einige Ereignisse des letzten Jahrzehnts lassen die Bombardierung Afghanistans jenseits von Kreuzzugmetaphorik und Dschihad-Aufrufen in einem neuem Licht erscheinen. Osama Bin Laden, das personifizierte Böse, ist für die ökonomischen Interessen des Westens, vor allem der USA, absolut unerheblich. Der Anschlag auf das World Trade Center setzte vielmehr für das US-Kapital Expansionsmöglichkeiten frei, die schon seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Blickwinkel lagen. Ein Blick auf die Karte zeigt wundersame geostrategische Koordinaten zwischen dem Irak, Ex-Jugoslawien und Afghanistan: Wir blicken auf ein Dreieck, in dem die mittelasiatischen und kaukasischen Gebiete der ehemaligen südlichen sowjetischen Republiken liegen. Hier, in Aserbajdschan, Turkmenistan, Kasachstan und Usbekistan liegen vermutlich die größten Erdöl- und Erdgasvorkommen der Welt. Die Regierungen dieser Länder haben die USA zur Zusammenarbeit eingeladen. Die Pipeline soll überall langgehen dürfen, nur nicht durch das Hoheitsgebiet der alten Herrscher. Mit der Bezwingung Rest-Jugoslawiens sicherten sich die USA einen Zugang zum Mittelmeer. Über den NATO-Partner Türkei ist der Zugang nach Mittelasien ermöglicht. Das Nadelöhr auf der anderen Seite, um an den Reichtum des Kaukasus und Mittelasiens heranzukommen, ist Afghanistan. Ein Sturz der Taliban und die Etablierung einer amerikafreundlichen Regierung würde die Möglichkeit der Erschließung der Ölquellen durch den Bau einer transafghanischen Pipeline in greifbare Nähe rücken lassen. Nebenbei befinden sich in Afghanistan die reichsten Kupfervorkommen der Welt. Durch eine Kooperation mit den USA eröffnet sich für Rußland möglicherweise ein Weg, bei der zukünftigen Aufteilung des Mittleren Ostens nicht leer auszugehen. Die Völkermorde in Tschetschenien (seit 1998 50.000 Tote) weisen von Grosny weiter nach Süden. Ein Kuhhandel zwischen den USA und Rußland nach dem Motto, "Euch Eure Pipeline in Afghanistan - uns die Erdölfelder in Aserbajdschan" wäre für Rußland wesentlich sinnvoller als eine militärische Auseinandersetzung mit den USA gerade da, wo die Sowjetunion ihr "Vietnam" erlebte.

Samuel Huntingtons regressiv-rassistisches Konzept eines Kampfes der Kulturen wirkt vor diesem Hintergrund geradezu lächerlich. Sicher: die Gruppen um Osama Bin Laden sind islamische Faschisten. Sicher: George W. Bush ist ein dumpfer christlich-fundamentalistischer Reaktionär. Viel wichtiger ist jedoch: Beide kommen aus Familien, die auf das Engste in das Ölgeschäft (in Saudi-Arabien) verwickelt sind. Im Kern geht es in dem Konflikt der Fundamentalisten um Osama Bin Laden mit den Reaktionären in den USA um die Vormachtstellung in der Region des Nahen und Mittleren Ostens. Die Zusammenarbeit der islamischen Staaten mit den USA kann nicht verwundern und hat am wenigsten mit dem grauenhaften Massenmord in New York zu tun. Übermutig geworden durch ihren Sieg über die Sowjetunion kündigten die afghanischen Taliban bereits Mitte der 90er Jahre an, von Islamabad bis zur chinesischen Provinz Xinjiang und von Samarkand bis nach Kaschmir herrschen zu wollen.[2] Sie können mit der Solidarität der verzweifelten muslimischen Underdogs von Casablanca bis nach Ost-Timor rechnen, die die Regierungen der islamischen Ländern als Kuppler der "Verderbnis" des Westens ansehen - eine Form der verzerrten antisemitischen und antiamerikanischen Imperialismuskritik, wie sie in Deutschland von der faschistischen NPD vertreten wird.

Die häufig gezogene Analogie des Anschlags auf das World Trade Center mit Pearl Harbour entbehrt nicht einer entsetzlichen Realität. Pearl Harbour war der Casus Belli, der es ermöglichte, die gegen den Krieg gestimmte Bevölkerung der USA auf den Eintritt in den zweiten Weltkrieg einzustimmen - als "Ground Zero" bezeichnen die Amerikaner die Einschlagsstelle von Atombomben und neuerdings auch die Einsturzstelle des WTC, die Assoziation spricht Bände:[3] Der Terror von New York könnte der Auftakt zum Griff der USA auf die Ölquellen Mittelasiens und des Kaukasus gewesen zu sein. In dieser Region wird sich entscheiden, wer im 21. Jahrhundert über die Macht und die wichtigsten Rohstoffe verfügt. Ein bürgerlich-kapitalistischer Staat wie die USA wäre dabei einem klerikal-faschistischen Regime wie den Taliban in jedem Fall vorzuziehen. Bisher hat allerdings jede ausländische Großmacht in Afghanistan ihr Waterloo erlebt.


Anmerkungen

[1] Mansoor Ijaz: Amerika verschmähte den Olivenzweig. In: DIE ZEIT Nr. 42. 8.10.1998.

[2] Gabriele Venzky: Kampf ums Öl. Wirtschaftliche Interessen dominieren in Afghanistan. In: DIE ZEIT. Nr. 43. S. 10.

[3] Wenn in diesem Zusammenhang von "Vergeltung" die Rede ist, rückt auch ein Atombombenschlag in begriffliche Nähe.

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