Zur normalen Fassung

Innere Einheit - Innere Sicherheit

Über Lebenslust und Staatsräson der Bundesrepublik

von Marcus Hawel


Concordia domi foris pax -
Eintracht im Staate, Frieden außerhalb

Auch mehr als ein Jahrzehnt nach der deutschen Vereinigung wird fortwährend festgestellt, daß die Deutschen innerlich noch nicht zusammengewachsen sind. Das Thema der inneren Einheit ist zu einer immer wieder entflammbaren Dauerdebatte geworden. Wie eine quälende malaise, unter der das deutsche Gemüt wankt wie unter einer schweren Last und des Nachts, wo es wie schon Heine an Deutschland denkt, um seines Schlafes gebracht ist, nimmt sich dieses Laborieren an der inneren Einheit so, als sei die innere Sicherheit gefährdet. Beinahe traumatisch kommt jedes Debatten-Etappen-Resultat immer wieder zu demselben Ergebnis: die innere Einheit sei noch längst nicht vollzogen, sie sei sogar gefährdet und gefährde dadurch wiederum auch die äußere Einheit der Nation. So etwas trägt freilich den Charakter einer Hysterie, von der vorrangig Politiker, Journalisten und Geisteswissenschaftler befallen sind, also ein intellektueller Stand, der von Berufswegen zunehmend damit beschäftigt ist, das Sprachrohr, das Stimmorgan der Nation statt deren schärfste Kritiker zu sein.

In der ZEIT[1] hat sich ein Kritiker - nicht der schärfste - mit einem Essay zu Wort gemeldet. Der Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Trier und langjährige Forschungsdirektor der der CDU nahestehenden Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Joachim Veen, fragt sich skeptisch, was eigentlich mit innerer Einheit gemeint sein soll. Einschlägige Definitionen dieses Begriffes gebe es jedenfalls nicht bzw. seien sehr unpräzise. Ist es überhaupt ein Begriff? Es herrsche eine allgemeine Unklarheit hinsichtlich dieser Metapher, die mißtrauisch stimme, weil sich in diesem inhaltsleeren Gerede demokratie- und gesellschaftstheoretisch Problematisches Bahn breche. Die Forderung nach innerer Einheit sei längst zu einem taktischen Mittel verkommen, zu einem politischen Instrument, mit dem sich in der Auseinandersetzung zwischen West und Ost weitreichende finanzielle Ansprüche (Erpressung?) stellen ließen. Außerdem:

"Das Bestreiten der inneren Einheit, die Betonung seiner Defizite trägt teils gewollt, teils ungewollt zur permanenten Delegitimierung der Vereinigung unter dem Grundgesetz und des politischen Systems der Bundesrepublik bei."

Daß dem Politikwissenschaftler zu dem instrumentalisierbaren, weil inhaltsleeren Nicht-Begriff der inneren Einheit ausgerechnet diese beiden Dinge einfallen, ist symptomatisch für seine politische Orientierung an der CDU, deren Lieblingsthemen aus konservativem Interesse bei den Staatsfinanzen und der nationalen Sicherheit liegen. Dennoch wirft Veen einige gute Überlegungen in den Raum, die es wert sind, tiefergehend betrachtet zu werden.

Innere Einheit? Plötzlich zeigt sich in dem Nicht-Begriff die Maske, hinter der sich etwas Bösartiges versteckt. Innere Einheit ist eine Chiffre für die Volksgemeinschaft.

Es gebe verschiedene Auslegungen der inneren Einheit, ökonomische, politische oder kulturelle Indikatoren wie etwa die Entwicklung des Wohlstandsgefälles zwischen Ost und West, Arbeitslosenstatistik, Demokratie- und Republikverständnis, Mentalitäten, Verhalten und Gewohnheiten, z.B. sexuelle. Alledem mißtraut Veen zurecht; zutreffend wittert er hinter solchen Indikatoren des Einheitsprozesses eine Vorstellung des innerlichen Zusammenwachsens, die er sich jedoch nicht als faschistoid zu benennen traut. Das angestrebte Ziel der inneren Einheit liege in der Homogenisierung, d.h. in der mehr oder weniger totalen (totalitären?) Angleichung der kulturellen, politischen und sozialen Differenzen: Absolute Unterschiedslosigkeit in allen politischen Einstellungen, Weltanschauungen (hier ist der Plural wichtig), Mentalitäten, Vorurteilen, Verhaltensweisen, Lebensstilen, Empfindungen und Gemütszuständen sei die vorgestellte vollendete innere Einheit Deutschlands.

Wo es um Innerlichkeit gehe, da sollten "wir Deutschen" nach wie vor wachsam sein und mißtrauisch werden. Gehe es etwa um die alte deutsche Sehnsucht nach Harmonie, ums nationale Schunkeln zur Volksmusik? Vermutlich. Allerdings sollte nicht nur das mißtrauisch machen. Wachsam bleiben sollte man ebenso gegenüber den Kritikern der deutschen Gemütlichkeit, die ein vereinnahmendes nationales "Wir" im Munde führen. - Das jedoch nur am Rande und gegen Veen, der folgendes nicht gut findet:

"Für viele scheint die innere Einheit erst dann wirklich vollendet, wenn die totale Gleichartigkeit aller in allem hergestellt ist, wenn am Ende der völlige Gleichklang der Seelen und Herzen des Denkens und Fühlens und Handelns gegeben ist."

Für Veen ist die innere Einheit längst vollendet; alles weitere gehe in Richtung eines "neuen Gemeinschaftsmythos", das soll heißen: Volksgemeinschaft. So etwas könne vernünftigerweise eine aufgeklärte Demokratie nicht wollen dürfen.

"Kaum jemand will die Homogenisierung bewußt, die Einheit total. Aber historisches Wissen über die Erhöhung der Volkseinheit und das Ende der Freiheit lassen uns frühzeitig Alarm schlagen, damit das wabernde Einheitsgerede nicht unreflektiert und unter der Hand zum Einfallstor für einen neuen Gemeinschaftsmythos wird."

Das Ideal der Volkseinheit als "substantielle Gleichheit", darauf macht Veen aufmerksam, stammt von dem Theoretiker des Autoritarismus, Carl Schmitt. Statt der "Gleichheit der Gleichen" benötigten "wir", so Veen, eine "Gleichheit der Ungleichen": eine pluralistische Gesellschaft.

Homogenisierung klingt nach einer Vorstellung der Nation als ethnische Kulturgemeinschaft (Herder). Die innere Einheit also als Indikator für Existenz und Grad ethnischer Homogenität bzw. kulturell-nationaler Identität. Aus dem vermeintlichen Mangel dieser Zusammengehörigkeit wird immer mal wieder von Konservativen die vermeintlich notwendige Anhebung des Nationalbewußtseins ohne wenn und aber geschlußfolgert: offiziell von oben verordneter Nationalismus, dessen Geist bis in die Schulbücher von Sechsjährigen sich ausbreiten soll.

Innere Einheit? Plötzlich zeigt sich in dem Nicht-Begriff die Maske, hinter der sich etwas Bösartiges versteckt. Innere Einheit ist eine Chiffre für die Volksgemeinschaft. Das Räsonieren über den Mangel an innerer Einheit ist die Fortsetzung des alten Traumas der unbeantworteten oder in seinen Antworten häufig gewechselten deutschen Frage. Jetzt hat sich Deutschland wieder, und man ist wieder wer im eigenen Land, man hat wieder etwas zu sagen - deshalb erstickt die Selbstherrlichkeit alle weiteren Fragen und Zweifel. Die innere Einheit ist die vollendete Antwort auf die deutsche Frage.

Der Tenor von Veens ZEIT-Essay ließe sich sehr frei nach Brecht so beschreiben: Alles rennt nach der inneren Einheit; rennt doch nicht so sehr!, denn seht Ihr nicht?: Die innere Einheit rennt hinterher. Veen plädiert fürs Innehalten und Verschnaufen; es sei dringend geboten, den Begriff endlich einzugrenzen auf das, was eine demokratische und pluralistisch-liberal verfaßte Republik minimal an Grundkonsens formulieren und an Gemeinsamkeiten vertragen könne. - Nicht die schlechteste Handlung wäre das. Doch selbst das, was Veen an Minimalkonsens zusammenträgt, läßt sich noch kritisieren und abspecken. Im wesentlichen dreht sich bei ihm alles um die Verfassungsprinzipien: Freie Wahlen und Mehrheitsprinzip, Chancengleichheit der Parteien und zeitliche Befristung politischer Ämter, freie Konkurrenz des Marktes und Legitimität des Interessenpluralismus, Gewaltfreiheit und Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols, last but not least: die Grund- und Menschenrechte. Die Bundesrepublik Deutschland definiere sich also selbst als einen demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Das alles ist weitgehend akzeptabel. Nun aber erweitert Veen seinen Minimalkonsens mit Unverdaulichem: Die Anerkennung des Grundgesetzes sei eine Anerkennung der staatlichen Ordnung. Er schreibt:

"Es ist die Zustimmung der Bürger zu den gemeinsamen Prinzipien der staatlichen Ordnung, die das Grundgesetz formuliert."

Soll das etwa heißen, daß die Zustimmung zum Grundgesetz gleichbedeutend ist mit der Zustimmung zum konkreten Erscheinungsbild des Staates? Verfassungspatriotismus gleich Staatsfreundschaft (Sternberger)? Im Umkehrschluß müßte das etwa heißen: Nicht-Anerkennung des Staates ist gleichbedeutend mit der Nicht-Anerkennung der Verfassung? Am Ende wäre der Staatskritiker zu einem Verfassungsfeind und das ganze zu einem sehr ernstzunehmenden Problem nicht nur der inneren Einheit, sondern auch der inneren Sicherheit geworden.

Ein bißchen fühlt man sich erinnert an die Mescalero-Affaire, die damit endete, daß der Hannöversche Professor der Sozialpsychologie, Peter Brückner aus dem Staatsdienst entfernt wurde, weil ihm Sympathisierung mit dem Terrorismus sowie Beschuldigung der Staatsorgane, welche ihm als Staatsdiener nicht zustehe, zur Last gelegt wurde. Am 10. September 1977 verkündete sein damaliger Ministerpräsident Ernst Albrecht auf dem Emdener Parteitag der niedersächsischen CDU: "Wer mit den Terroristen sympathisiert, ist mitschuldig. Er muß zur Rechenschaft gezogen werden."[2] Albrecht ging damals so weit, von den linken Professoren im Staatsdienst, die sich in einem offenen Brief um Aufklärung bemüht hatten, zusätzlich zu dem üblichen Eid auf die Verfassung eine Loyalitätserklärung gegenüber dem Staat abzuverlangen. Die öffentliche Abbitte erfolgte, weil niemand vom Dienst suspendiert werden wollte.

Was die Geschichte will, sollen die Menschen nicht verhindern, denn sie sind in bestimmten Augenblicken historische Individuen - so etwa im Herbst 1989, als der Weltgeist in Leipzig, Dresden und in Ost-Berlin die Nachkriegsgeschichte beendete; oder einige Monate später, als der Weltgeist auf dem innerdeutschen Streckennetz im ICE saß: freie Fahrt für freie Bürger und für das ganze Volk zum halben Preis.

Das Verlangen nach Loyalität gegenüber dem Staat ist genausowenig rechtens wie das Abverlangen eines Vertrauens der Bevölkerung in die demokratischen Institutionen. Der Politikwissenschaftler Veen zählt aber auch das zum Minimalkonsens der inneren Einheit. Solch ein Vertrauen läßt sich nicht erzwingen. Nur vernünftige Institutionen verdienen Anerkennung. Wenn sich die sich selbst demokratisch bezeichnenden Institutionen als unzureichend demokratisch erweisen sollten, können sie hinweggefegt und durch neue, bessere ersetzt werden. Auch das gehört zu jenem plébiscite de tous les jours, auf das sich Veen zu beziehen weiß. Zuletzt gilt ihm auch die soziale Marktwirtschaft als regulative Idee und die feste Einbindung ins westliche Europa sowie in die Nato, abgeleitet aus der Verfassungslogik sowie aus Gründen der Staatsräson, dem Minimalkonsens der inneren Einheit zugehörig.

Staatsräson? Was ist eigentlich mit diesem Wort gemeint, mit dem sofort nach Art einer magischen Wunderwaffe jeder Widerspruch verhallen soll? Wo steht, was für ewig, d.h. also auch unabhängig von dem politischen Willen aller Einzelnen, Staatsräson sein soll? Die Einheit der Deutschen galt etwa in der Bundesrepublik als Bestandteil der Staatsräson; deshalb gab es auch keine plebiszitäre Anhörung der Bürger diesbezüglich. Es sollte zusammenwachsen, was zusammengehört. - Staatsräson als Totschlagargument der höheren Gewalt: ein unantastbares, unanfechtbares Schicksal. Vor keiner gerichtlichen Instanz ist die bestimmte Negation der Staatsräson einklagbar. Die Staatsräson hat immer recht. Beinahe ist es wie mit Gott im Mittelalter oder der Partei im Stalinismus, deren Lehren einzig von der Priester- bzw. Kaderkaste ausgelegt wurden. - Die Staatsräson wird von der staatstragenden Elite von Amtswegen zum Sprechen gebracht. - Um so mehr, je weniger die Politiker in einem autoritärer werdenden Staat zur Rechtfertigung ihrer Entscheidungen gegenüber dem Volk genötigt sind. Wer der Staatsräson widerspricht, kann sich nach Ansicht einiger Politiker sogar des Landesverrats moralisch schuldig machen. (Nur noch moralisch, denn 1977 ist lange vorbei.) Aber was die Geschichte will, sollen die Menschen nicht verhindern, denn sie sind in bestimmten Augenblicken historische Individuen - so etwa im Herbst 1989, als der Weltgeist in Leipzig, Dresden und in Ost-Berlin die Nachkriegsgeschichte beendete; oder einige Monate später, als der Weltgeist auf dem innerdeutschen Streckennetz im ICE saß: freie Fahrt für freie Bürger und für das ganze Volk zum halben Preis.

"Nach über 40 Jahren der Trennung müssen sich beide Teile mit dem vereinten Deutschland identifizieren können. Sie sollten also den nachhaltigen Willen zur Einheit haben, das Eins-sein-Wollen als Nation, das Nicht-zurück-wollen in die Teilung, das republikanische plébiscite de tous les jours, das eine Nation seit der Französischen Revolution ausmacht."

Auch das Eins-sein-Wollen, das Nicht-zurück-wollen in die Teilung, soll also nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Veen zur Staatsräson gehören. Nebenbei ist die Nation ein tägliches Plebiszit - ist das nicht ein heftiger Widerspruch?

Eine Staatsräson, die sich in bestimmten Inhalten immun gegen den Willen der Bevölkerung macht und sich dabei auf höhere Gewalt beruft, ist alles andere als demokratisch. In dem Willen der Nation als nicht anfechtbare Bedingung für die innere Einheit macht sich die offene und latente Gewalt als Zwangsverhältnis geltend: Die Nation als unabdingbare Schicksalsgemeinschaft und darin überhaupt nicht tägliches Plebiszit: Die Subsumtion der einzelnen Individuen unter die Einheit der Nation geschieht automatisch - darin steckt Unterwerfung mit Hilfe der Gewalt des Staates. Selbst dort, wo die Subsumtion aus freiem Willen zugelassen wird, ging dem eine Verinnerlichung des Zwangsverhältnisses, d.h. der Gewalt, voraus. Ohne das alles ist es jedenfalls kaum möglich, daß ein Gefühl der Zusammengehörigkeit - egal ob es erhebend ist oder nüchtern bleibt -, ein nationales "Wir" entsteht.

Die Subsumtion der einzelnen Individuen unter die Einheit der Nation geschieht automatisch - darin steckt Unterwerfung mit Hilfe der Gewalt des Staates. Selbst dort, wo die Subsumtion aus freiem Willen zugelassen wird, ging dem eine Verinnerlichung des Zwangsverhältnisses, d.h. der Gewalt, voraus.

Gesellschaft muß gegen die zentrifugalen Kräfte des Kapitalismus zusammengehalten werden. - Ohne Einheit gibt es keine Sicherheit. Schutz ist das Urphänomen von Herrschaft. (Horkheimer) Die Einheit stellt der Nationalstaat durch sein Gewaltmonopol sicher. Homogenisierung ist ein akzidentieller Zusatz. Die Nicht-Identität der nationalen Einheit gilt allerdings als Unvollkommenheit, weil es Staatszweck ist, eine Einheit zu sein. Diese Einheit muß hergestellt und aufrechterhalten werden, weil andernfalls die Gefahr der Entzweiung droht. So einfach ist das, weil tautologisch.

Die Beziehungen zwischen innerer Einheit und innerer Sicherheit, sowie zwischen Terrorismus und dem legitimen Kampf um politische Selbstbestimmung von Minderheiten (notfalls auch mit Gewalt) sind sehr eng verknüpft. Es ist lediglich eine Frage der Größenordnung des politischen Subjektes, das die Nicht-Identität innerhalb der Einheit, welche die Definitionshoheit aufgrund ihres Gewaltmonopols innehat, ausmacht. Aus der Größe leitet sich die Statusfrage ab: Vereinzelte Besonderheiten ohne Massenbasis können kriminalisiert werden, indem der Staat sie als Terrorismus definiert. Prinzipiell allgemein mehrheitsfähige Minderheiten können dagegen einen legitimen Kampf auch mit Gewalt führen, weil sie eine Massenbasis haben und in diesem Fall der Staat nur von unvollendeter innerer Einheit sprechen kann, ansonsten aber den Minderheiten ihren politischen Status zugestehen muß. Darin vollzieht sich ein Stück Herr-Knecht-Dialektik.

Die RAF hat in den 70er Jahren die innere Sicherheit gefährdet, nicht weil der Bürger befürchten mußte, Opfer von Gewaltanschlägen zu werden, sondern weil die damalige BRD als Staat sich von deren Umtrieben in ihren Grundfesten erschüttert wähnte. Mit anderen Worten: eine mögliche Entzweiung des Staates aufgrund einer mehr oder weniger realen Bedrohung durch eine Terrororganisation und ihrem sogenannten Unterstützer- sowie Sympathisantenkreis wurde als äußerste Gefährdung der inneren Sicherheit aufgefaßt. Da es sich bei den Terroristen lediglich um einige wenige - jedenfalls nicht um numerisch bedeutende Schichten der Bevölkerung im Sinne einer breiten Volksmasse - gehandelt hatte, konnten die Attentäter und Bombenleger zu terroristischen, innerstaatlichen Staatsfeinden erklärt und isoliert werden, ohne einen Bürgerkrieg zu provozieren. Die Kriminalisierung politisch Andersdenkender hat demgegenüber freilich viel Zorn entfacht. Da die deutsche Linke seit den 68er Jahren wieder sehr groß geworden war, ließ sich das linke Gedankengut immer weniger vom Staat und seinen öffentlichen Institutionen fernhalten. So erfolgte eine umgekehrte Strategie: nicht Ausgrenzung, sondern Disziplinierung durch die Staatsräson. Die Strukturen des Staates sind per se konservativ.

Die Kriterien der inneren Einheit, die Veen bestimmt hat, können kein Minimalkonsens sein, weil sie z.T. nationalpatriotisch und autoritär zu nennen sind. Deshalb ist auch diese Schlußfolgerung von ihm, die hier als letztes zitiert sei, ein wenig heuchlerisch: "Jede Erweiterung dieses Minimalkonsenses würde die legitime gesellschaftliche Pluralität und Freiheitlichkeit, die politische, gesellschaftliche und kulturelle Lebenslust der Bundesrepublik unzulässig einschnüren."


Anmerkung

[1] Hans-Joachim Veen: "Einheit, Einheit über alles - Das Gerede vom nötigen Zusammenwachsen Ost- und Westdeutschlands führt in die Irre", in: DIE ZEIT 24/2001.

[2] Vgl. Peter Brückner: Die Mescalero-Affaire. Ein Lehrstück für Aufklärung und politische Kultur, Hannover 1981, S. 78.

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https://sopos.org/aufsaetze/3b2a843f7a7e0/1.html