Zur normalen Fassung

"Die wirkliche Schwierigkeit besteht in der zu großen Zahl von türkischen Mitbürgern."
Helmut Kohl bei seinem Amtsantritt 1982.

1988 behauptete Edmund Stoiber, CSU-Vorsitzender, Oskar Lafontaine verfolge durch seine Asylpolitik "eine multinationale Gesellschaft auf deutschem Boden, durchmischt und durchrasst."

"Es kann nicht sein, daß ein Teil der Ausländer bettelnd, betrügend, ja auch messerstechend durch die Straßen ziehen, festgenommen werden und nur, weil sie das Wort Asyl rufen, dem Steuerzahler auf der Tasche liegen."
Klaus Landowsky, 1993 CDU-Fraktionsvorsitzender in Berlin.

"Die Stadt wird nicht zulassen, daß in Lebach die Zigeuner tanzen."
Nikolaus Jung, CDU, Bürgermeister von Lebach im Saarland 1993.

"Frage: Sie waren doch sehr erfolgreich. Die Asylanten sind weg, und das Grundgesetz wird sogar geändert.
Kupfer: Ja, das könnte man so sehen. Wir haben aus Überzeugung schon vor diesen Ereignissen in Rostock immer gesagt, wir müssen Lösungen finden, um den unkontrollierten Zustrom von Ausländern nach Ostdeutschland zu stoppen.
Frage: Jetzt haben andere für Sie die Lösung gefunden.
Kupfer: Die Rechten haben bewirkt, die Politiker dafür zu sensibilisieren, daß das Asylrecht eingeschränkt wird und daß das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung an erster Stelle steht - nicht nur in Ostdeutschland."
Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lothar Kupfer, CDU, im Interview mit dem WDR 1992, nachdem es drei Tage hintereinander Angriffe auf die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber und ein von Vietnamesen bewohntes Haus in Rostock-Lichtenhagen gegeben hatte, bei denen die Polizei auf Anweisung nicht eingriff.



Deutschlands "demokratische Mitte" im Kampf gegen sich selbst

Zur gegenwärtigen Debatte über den Rechtsradikalismus

von Gregor Kritidis


Der Kampf der bürgerlichen Mitte gegen den Rechtsextremismus hat mit der Forderung nach einem Verbot der NPD im Sommer 2000 einen ersten Höhepunkt erreicht. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, was vielen zu einem erfolgreichen Vorgehen gegen die rechtsextremistische Bewegung fehlt: eine demokratische Gesinnung. Bei allen formelhaften Bekenntnissen zur "wehrhaften Demokratie" gibt es weit verbreitet autoritär-rassistische Einstellungen, die gewalttätige Übergriffe auf Minderheiten im Kern akzeptieren. Exemplarisch läßt sich das an Leserbriefen zeigen, welche die Hannoversche Allgemeine Zeitung am 17. August 2000 auf drei Spalten veröffentlichte.

Dort schreibt etwa ein Peter Hoffmann aus Burgwedel, der Appell an jeden einzelnen, mehr Zivilcourage zu zeigen, lasse "die akute Gefährdung für beherzte wehrhafte Demokraten außer acht, die leicht selber zu Opfern werden könnten". Was diese Bemerkung im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Gewalttaten soll, bleibt schleierhaft. Jeder wird Verständnis dafür aufbringen, wenn sich Menschen angesichts massiver Gewaltausübung darauf beschränken, Hilfe zu holen. So aber gerät das Bekenntnis zur "wehrhaften Demokratie" (die seit der Gründung der BRD freilich immer eine antidemokratische Stoßrichtung hatte) zum insgeheimen Eingeständnis, daß man sich im Zweifelsfall nicht für einen Fremden einsetzen will, und wird damit zu einer Rechtfertigung unterlassener Hilfeleistung.

Unisono einig ist man sich in der bürgerlichen "Mitte" allemal, daß bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus, sofern gegen Gesetze verstoßen wird, konsequent und hart eingeschritten werden muß. "Der Leitartikel von Mathias Koch bringt es auf den Punkt", schreibt ein gewisser Peter Bensch: "Gewaltausübung muß nicht nur konsequent bekämpft werden, wenn sie mit rechten Parolen und Straftaten verbunden ist. Gleiches gilt aber auch für Gewalttäter, die zum Beispiel alten Menschen auf den Straßen die Handtaschen rauben". Damit ist die Frage des Rechtsextremismus von einer politischen zu einer polizeitechnischen herunterdefiniert worden. Rassistischer Mord bzw. Totschlag, hier schon gar nicht mehr erwähnt, wird mit Handtaschenraub gleichgesetzt, ohne daß jemand in diesem Zusammenhang thematisiert hätte, Straftaten nicht verfolgen zu wollen. Die Stoßrichtung des Autors verdeutlicht sich an der folgenden Gleichsetzung: "Ob Nazi-Parolen, Ausländerhetze, Chaos-Tage, Hooligans usw.: Gemeinsam ist diesen Hirnen die Mißachtung von Mitmenschen und deren Eigentum". Es geht nicht darum, daß das Leben und die Gesundheit von Menschen akut gefährdet ist - der Besitzbürger sorgt sich um sein Wohlbefinden und sein Eigentum, daß er von Punks, Hooligans oder eben Rechtsextremen gleichermaßen bedroht sieht. Es sei übrigens angemerkt, daß die Rechtsordnung der Bundesrepublik diesem Bewußtsein entspricht: Eigentumsdelikte werden in der Regel per Gesetz mit relativ härteren Strafen bedroht als Körperverletzungen.

Die Ursache des Rechtsextremismus sieht Bensch auch nicht im Rassismus der "Mitte" der Gesellschaft, sondern in einer "verpfuschten Jugend". "Die Gesellschaft", so die Schlußfolgerung, müsse sich ausreichend um die Heranwachsenden kümmern und nicht "bei deren Verwahrlosung" wegschauen. Die Möglichkeit, daß hier ein Teil der Jugend in konsequenter Form die Gewalt vollstreckt, die geistig im Rassismus breiter Bevölkerungskreise angelegt ist, blendet der Autor geflissentlich aus.

Dieses rassistische Bewußtsein durchzieht aber die Mehrzahl der Leserbriefe. So schreibt eine Hannelore Mussmann: "Hartes Durchgreifen gegen rechtsextreme Gewalttäter ist längst überfällig, ebenso aber ein hartes, konsequentes Einschreiten gegen kriminelle Ausländer, denn eines ohne das andere wäre nicht einzusehen". Rechtsextremistische Gewalt soll also die Folge von Kriminalität von Ausländern sein. Gleichsam ließe sich behaupten, jeder, dem ein Fahrrad gestohlen würde, würde automatisch zum Dieb, da er sich quasi aus Notwehr selbst eines stehlen müßte. Der Rechtfertigungscharakter solcher Aussagen liegt auf der Hand, wenn man sich vor Augen führt, daß es keineswegs Mordanschläge auf Faschisten gegeben hat, umgekehrt aber über 110 Menschen in den letzten zehn Jahren von Rechtsextremisten umgebracht worden sind. Zudem, das belegen immer wieder Untersuchungen, hat weder der Ausländeranteil noch die Kriminalität von Ausländern[1] einer Region etwas mit gewalttätigen Übergriffen durch Rechtsextremisten zu tun. Analog zum "Antisemitismus ohne Juden" gibt es auch eine "Ausländerfeindlichkeit ohne Ausländer".

In welche Richtung sich eine wirkungsvolle antifaschistische Politik u.a. wenden muß, macht ein Leserbrief von Dietrich Grimm deutlich. Auch hier wird die These wiederholt, Zuwanderung führe zu Gewalt: "Daß eine Ausländerpolitik nach der Devise 'Dieses Land muß offen sein für alle Menschen, die hierher wollen' (Antje Vollmer) schwerwiegende Probleme und letztlich auch Gewalt nach sich ziehen würde, war doch vorhersehbar, und es gab auch genügend warnende Stimmen. Bundeskanzler a.D. Schmidt hatte schon vor vielen Jahren gewarnt, 'aus Deutschland mit seiner tausendjährigen Geschichte seit Otto I. einen Schmelztiegel zu machen'".

Indirekt spricht der Autor das aus, was tatsächlich eine Ursache rechtextremistischer Gewalt ist: ein herrschendes Bewußtsein, das am Ideal einer ethnisch "sauberen" Gesellschaft festhält. Auf solche Weise wird die Wirklichkeit geistig zerstört, was zu Gewalt führen muß, wenn diese Ideologie verwirklicht werden soll. Einwanderung ist keinesfalls ein neues Phänomen, es ist eine Folge der ansonsten häufig als notwendig erachteten kapitalistischen "Globalisierung".

Deutschland ist spätestens seit dem letzten Jahrhundert ein Einwanderungsland. Die Lohnarbeiterschaft im Ruhrgebiet z.B. bestand zu einem großen Teil aus polnischen und masurischen Zuwanderern - es gab polnische Kulturvereine, Gewerkschaften und Fußballmannschaften. Je nach wirtschaftlicher Entwicklung wurden von Seiten der Unternehmen Arbeiter in anderen Ländern angeworben oder gewaltsam verschleppt. Im Dritten Reich etwa basierte die wirtschaftliche Entwicklung maßgeblich auf Zwangsarbeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg standen zunächst die zahlreichen Heimatvertriebenen als billige Arbeitskräfte bereit. Seit Ende der 50er Jahre wurde dann damit begonnen, südeuropäische und türkische Lohnarbeiter anzuwerben.

Anfang der 70er Jahre kam es unter dem Eindruck abnehmender Profitraten zu einer Kehrtwende in der Arbeitsmarktpolitik. Die Anwerbung wurde zunächst eingestellt, und in den 80er Jahren bemühte sich die Regierung Kohl, die ehemaligen "Gastarbeiter" mit lächerlichen Abfindungen in ihre Ursprungsländer zurückzuschicken. Mit der Krise zu Beginn der 90er Jahre radikalisierten sich die Positionen des politischen und wirtschaftlichen Establishments in zwei Richtungen: einerseits wurde eine Kampagne gegen den "Mißbrauch" sozialer Leistungen entfacht, die nach kurzer Zeit die gesamte Öffentlichkeit beherrschte und dem Lohn- und Sozialabbau ideologisch den Weg ebnete. Andererseits wurde mit rassistischer Propaganda und der Abschaffung des Asylrechts der soziale Unmut in breiten Bevölkerungskreisen kanalisiert und die Zuwanderung politischer Flüchtlinge massiv begrenzt. Wissentlich wurde so der extremistischen Rechten in die Hände gespielt. Daß dabei auf die Immigration billiger Arbeitskräfte nicht verzichtet werden sollte, zeigt die gleichzeitige Förderung der Zuwanderung "Deutschstämmiger" aus Osteuropa. Die Pläne der Bundesregierung, anerkannten Asylbewerbern eine Arbeitserlaubnis zu erteilen, gehen mittlerweile in dieselbe Richtung.

Trotz der gegenwärtigen Entwicklung auf den Arbeitsmärkten - in Teilbereichen zeigt sich ein erster Mangel an Fachkräften - haben es bisher nur wenige Personen des öffentlichen Lebens gewagt, die Lüge, Deutschland sei kein Einwanderungsland, grundsätzlich in Frage zu stellen. Die Diskussion um die Erteilung von Greencards zeigt, wie sehr große Teile des politischen Establishments bestrebt sind, die Illusion vom "Gastarbeiter" und damit den nationalen Konsens aufrecht zu erhalten. Der "Kampf" gegen Rechts bildet dazu nur die Kehrseite: Ausländische Arbeitskräfte und Investoren sollen sich in Deutschland ausreichend sicher fühlen können, d.h. die extremistische Rechte soll in Schach gehalten und ihre abschreckende Wirkung gemindert werden. Der Ruf nach polizeilicher Repression ist eine Konsequenz aus dieser Position. Eine inhaltliche Auseinandersetzung über die Wurzeln des Rechtsextremismus in Deutschland ist politisch entweder nicht gewollt, oder sie wird zahnlos geführt, da es in der "Ausländerpolitik", etwa in der Frage der Abschiebung politischer Flüchtlinge, Überschneidungen rechtsextremistischer Positionen mit der offiziell verfolgten Linie gibt. Ein gutes Beispiel dafür war Jörg Haiders Auftritt bei Erich Böhmes "Talk im Turm", wo Haider jegliche Angriffe, die FPÖ sei rassistisch, damit konterte, er vertrete nur die Politik, die von allen westlichen Regierungen verfolgt werde. Da den Rechtsextremen auf diese Weise nicht beizukommen ist, soll nun mit autoritären Mitteln vorgegangen werden. Mit einer Debatte über legale Formen der Zuwanderung und die arbeitsrechtliche Legalisierung der bisher kriminalisierten ausländischen Arbeiter und Arbeiterinnen wäre der Demokratisierung der Gesellschaft aber mehr gedient als mit dem Ruf nach einem Ausbau der Polizeiapparate.

Anmerkung

[1] Die Ausländerkriminalität besteht zu einem nicht unerheblichen Teil in Verstößen gegen die Aufenthaltsbestimmungen, gegen die Deutsche gar nicht erst verstoßen können.

Zur normalen Fassung

https://sopos.org/aufsaetze/39c22aeb44676/1.html