Zur normalen Fassung

Hexenjäger gegen Pussy Riot

Horrorclowns auf dem Festival "Contre racisme" in Hannover

von Utz Anhalt (sopos)

„Einen Diktator kann man hassen, verachten oder fürchten. Das Einzige, was er nicht überlebt, ist, wenn über ihn gelacht wird“, erklärten Gegner des Diktators Lukaschenko in Weißrussland und warfen Teddybären vom Himmel. Sie kennzeichnen damit die Freiheit des Lachens. Autoritäre Macht beruht auf Furcht vor dem Herrscher. Wer den auslacht, verliert seine Angst - und die Tyrannen die Kontrolle.

Lächerlichkeit wird gefährlich, wenn sie an die Macht kommt, zum Beispiel dort, wo eine brachiale Kritik an sexueller Unterdrückung hingehört - im Iran: „Ungerechte Verhaftungen und das Foltern, sowie öffentliche Hinrichtungen und Steinigungen der Frauen und Männer und Minderjährigen, die Verhaftung der protestierenden Arbeiter und Studenten und viele andere Grausamkeiten in den letzten 30 Jahren werden durch die Machthaber der islamischen Regierung fortgesetzt“, schreibt Mina Ahadi. Wir können den autoritären Charakter noch auslachen, Menschenrechtlerinnen im Iran können das nicht. Sie brauchen wirkliche Freunde, und wir sollten hier die Freiheit des Bildes, des Wortes und der Satire verteidigen, sonst ist sie uns schneller genommen, als wir es uns heute vorstellen können.

Der bisweilen polemische, bisweilen realsatirische Stil dieses Beitrags wurzelt in einer sehr ernsten Erfahrung: Da, wo die Freiheit des Bildes und der Satire gefährdet sind, sind bald auch die anderen Freiheiten verschwunden.

Die Inquisition trägt Kapuzenpulli? Antirassismus heißt: Projektion auf das, was nicht der Norm entspricht? Interkultureller Dialog heißt: Rausschmeißen, was man nicht versteht? Wächst mit Pervertierungen freiheitlicher Begriffe eine autoritäre Gesellschaft heran? Schwarzfahrer auf dem Ticket Antirassismus? Was war auf dem „Festival contre le racisme“ in Hannover los? Mao Schädel von der Satire –Partei DIE PARTEI erlebte Absonderliches.

Nackte Tatsachen

Cover von KUNST

brachialer Antisexismus – das Cover von KUNST, einem Album der Industrial-Band KMFDM.

Die Band setzt sich für die Freilassung von Pussy Riot ein. Das Bild lehnt sich an eine Aktion von der feministischen Organisation Femen an, die ein Holzkreuz mit der Kettensäge gefällt haben.

Er wurde gewaltsam von diesem Festival geworfen. Der Grund: Ein Pro Pussy Riot -T-Shirt der Industrial Band KMFDM, auf dem eine wütende nackte Frau zu sehen ist, die mit einer Kettensäge ein christliches Kreuz zerstört(siehe Abbildung). Das Bild zeigt brachialen Antisexismus. Eine Frau bestimmt ihre eigene Sexualität selbst und zerstört DAS Symbol für Sexualunterdrückung. Das Bild steht so in einer ehrenhaften Tradition seit der schwarzen Romantik, die die verteufelte Sexualität der Frau (die Hexe) und des Mannes (den Teufel) gegen den kirchlichen Erzeuger dieser Projektionen richtete und positiv wendete. Es erinnert auch an „Die Freiheit führt das Volk von Delacroix“, wo eine Barbusige an der Spitze der Revolution das Ancien Regime aus Klerus und Adel bezwingt. Übrigens ist das Bild auch explizit antirassistisch, denn das Christentum ist Kulturrassismus pur – die Nichtchristen sind die Heiden und minderwertig. Sie kommen in die Hölle. Der Unterschied zwischen der Hölle und Auschwitz ist der, dass Auschwitz diesseitig real war, während die Hölle eine Fiktion mit jedoch allzu realer Wirkmacht auf das Diesseits darstellt. Die Höllenstrafen, die die Christen für die Ungläubigen imaginierten, fügten sie diesen indessen auf Erden zu: Die Scheiterhaufen brannten für Ketzer und „Hexen“ ebenso wie für die Ureinwohner Amerikas. Der moderne Rassismus hat hier eine seiner Wurzeln.

Industrial brach Rollenmuster auf wie wohl keine andere Kunstkultur der letzten 30 Jahre, brach die Grenze zwischen normal und verrückt auf - Psychiatrisierte machten Musik zusammen mit ihren Pflegern - und überschnitt sich dabei mit Punk und New Wave. Industrial zeigte die destruktiven Prozesse der Postmoderne und eignete sich die Werkzeuge der Industriekultur und Maschinen als Instrumente an. Diese Musik war definitiv kein Rock´n Roll mehr, und die Spießer, die die Rolling Stones als „Negermusik“ bezeichnet hatten, sahen den Untergang kommen. Traditionslinke konnten mit diesem „Krach“ wenig anfangen, begriffen aber zumindest, dass Bandnamen wie sozialistisches Patientenkollektiv nicht unbedingt auf Faschismus schließen ließen, allzumal die Künstler als „entartet“ sofort im KZ gelandet wären. Der Ursprung dieser Musik war anarchisch-anarchistisch und politisch ultralinks, ohne dies jedoch immer wieder von neuem zu betonen. Industrial brach radikal mit Konventionen. Aus dieser Tradition des Industrial stammt KMFDM, in deren Musik zugleich Elemente des Dadaismus, des Surrealismus und der Überstilisierung einfließen. Sie antworten zum Beispiel auf die Frage, was der Name der Band bedeutet: Kylie Minogue Fans don´t masturbate. Das T-Shirt bildet mit überstilisiert realistisch-sozialistisch gewendeten Mitteln eine Aktion einer Femen-Aktivistin ab. Nach 1968 entfaltete die Linke sexuelle Freizügigkeit – nur christliche Konservative und Altnazis verfolgten selbstbewusste erotische Darstellungen. Ein „anti-irgendwas-istisch“ konstruiertes Sexverbot ist von den Projektionen her den alten vertrockneten Mohrrüben ähnlich: Dogmatiker kasernieren ihre eigenen Wünsche. Warum fliegt der Akitvist einer Satire-Partei, der ein eindeutig kritisches T-Shirt trägt, von einem antirassistischen Festival?

Bilderzensur?

Es geht nicht darum, die Aktionen von Pussy Riot toll zu finden, sondern um die Zensur von Bildern. Der Autor ist nicht unbedingt ein Freund von Pussy Riot, und über Femen gäbe es einiges zu diskutieren: Sie treten als nackte Nationalfrauen auf und instrumentalisieren die, für deren Interessen sie angeblich kämpfen: Sexarbeiterinnen wehren sich zum Beispiel dagegen, als Opfer dargestellt und von Femen gar mit den Opfern des Nationalsozialismus gleich gesetzt zu werden, muslimische Frauen wehren sich dagegen, nicht einmal gefragt zu werden, ob sie sich entblößen wollen. Zugleich demonstrieren Femen aber auch gegen „Heidi Klums Horror Show“, was wiederum emanzipatorisch mit Rollenmustern bricht. Heißt Diskussion aber Bilderverbot?

Begründungen für eine Zensur von Femen-Bildern aus besagten Gründen? Alice Schwarzer feiert Leni Riefenstahl und verbreitet die Propaganda, die diese Nazisse über sich selbst erzählte, verglich sich aber auch peinlichst mit Frauen, die Opfer der historischen Nazis wurden, setzte Frauen als solche mit den von Nazis verfolgten Juden gleich, schreibt für die BILD und gratulierte dem Hitlerjungen Ratzinger für seine Brandrede gegen den Islam. Sie ist autoritär, verzerrt bewusst wissenschaftliche Erkenntnisse bis ins Gegenteil, wenn es ihr in den Kram passt, schreit „wir Frauen“, wenn ausschließlich sie sachlich kritisiert wird und brüllt „Ich“, wenn es darum geht, sich mit den Federn anderer zu schmücken.

Die Kritikpunkte an Femen (Relativierung der Shoah für eigene Interessen, Konstruktion eines homogenen Kollektivs „Die Frauen“, Matriarchat statt Gleichberechtigung, das Instrumentalisieren anderer wie Sexarbeiterinnen und Muslimas für eigene Interessen, unreflektierter Nationalismus) sind richtig, wichtig und notwendig. Sie gelten aber für Alice Schwarzer und –abgesehen vom Nationalismus- für Andrea Dworkin drei-, vier-, und fünffach. Nach der Logik des gewaltsamen Rausschmeißens hätten die beiden prominenten Feministinnen also mit der gleichen Begründung wie bei Femen von jedem antirassistisch-feministischen Festival fliegen müssen.

Es geht aber um etwas gänzlich Anderes: In einem Rechtsstaat gibt es nämlich kein Recht, jemand wegen einem „I like Alice Schwarzer“-T-Shirt von einem Festival zu jagen, und auch nicht wegen einem „I hate Alice Schwarzer“-Shirt. Es gibt die Freiheit der Meinung und des Bildes, und es gilt, diese zu verteidigen! Humanisten haben diese Freiheitsrechte in einem zähen Kampf gegen Klerus und Obrigkeit erkämpft. Sie dürfen dahinter nicht einen Millimeter zurückgehen.

Wer mit einem „Gegen Nazis“-T-Shirt auf ein Konzert geht, muss nicht vorher sämtliche Faschismustheorien durchkauen, damit „Antifaschisten“ ihn körperlich unversehrt lassen, weil sie auf der Seite Dimitroffs stehen und Erich Fromm kritisch sehen oder umgekehrt. Die Diskussion um Pussy Riot und Femen ist eine klassische Kontroverse. Eine Kontroverse zwischen Demokraten besteht aber nicht darin, dass der eine das verbietet, wegprügelt oder zuklebt, was ihm – aus welchen Gründen auch immer – nicht gefällt. Streit besteht gerade darin, Widersprüche und Positionen auszuhalten.

Lassen wir den Betroffenen selbst zu Wort kommen. Was war los?

Interview mit Mao Schädel von DIE PARTEI

Utz: Du bist Aktivist der PARTEI, Musiker und für Spaß zu haben. Paart sich Lächerlichkeit mit Gewalt, wird es aber unangenehm. Das folgende war keine Satire: Du trafst merkwürdige Clowns auf einem Open-Air Konzert in Hannover. Was wollten die von dir?

Mao: Ich sollte mein T-Shirt umdrehen, ausziehen oder gehen.

Utz: Wollten die dein T-Shirt klauen, um es zu verkaufen?

Mao: Nein, sie mochten das Motiv nicht. Am vergangenen Freitag, dem 7. Juni 2013, wurde ich wegen eines PRO-Pussy Riot Shirts vom „Festival contre racisme“ in Hannover entfernt. Insgesamt fünf Leute trugen mich vom Platz und verdrehten mir den Arm.

Utz: So wie die Polizei in Frankfurt bei Blockupy. Wie kommt es? Zitterten Patriarchen vor dem Mösenaufstand? Verteidigten „antirassistische“ Söldner Putin und das Zölibat? Was war auf dem T-Shirt zu sehen?

Mao: Ich hatte ein T-Shirt der Industrial Band KMFDM an. Darauf zu sehen ist eine wütende nackte Frau, die mit einer Kettensäge ein christliches Holzkreuz zersägt, darunter steht groß: Kunst – und oben: KMFDM.

Utz: Wer hat dich da überfallen? Mischten sich Klerikalfaschisten ins Publikum? Rechtsradikale Puritaner? Militante Nonnen? Meuchelmörder des Vatikans? Protestantische Selbstmordattentäter? Anders Breiviks Geschwister?

Mao: So ähnlich. Allerdings bezeichnen sich diese verlogenen Faschisten, die verfolgen, was nicht in ihr eingeschränktes Weltbild passt, als „Antirassisten“. Die Leute da waren Idioten, das ist einfach sehr schief gelaufen. Danach fühlten sie sich, als hätten sie die Welt wieder ein bisschen besser gemacht.

Utz: Politisch im engen Sinn meinst du das bestimmt nicht Dieses Verhalten geht allerdings in eine schlimme Richtung – ähnlich eingeschränkt denkt zum Beispiel die iranische Religionspolizei. Was die Karnevalspuritaner, die dich verfolgten, mit den konservativen Körperfeinden teilen, ist der autoritäre Charakter – im Unterschied zu den alten Reaktionären behaupten sie jedoch das Gegenteil. Das meinst du wohl mit verlogen?

Mao: Die haben das bestimmt nur gut gemeint. Ich war ein gutes Feindbild und da konnte man was gegen tun.

Utz: Vielleicht haben sie in Geschichte auch nur falsch mitgeschrieben, statt „schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft“, verstanden sie „schlagt sie, Faschisten, wo ihr sie trefft“ und wissen jetzt nicht, wohin sie gehören? Sexus und Sexismus, Fasching und Faschismus, Anarchismus und anarchische Gewalt – das fällt ihnen schwer, auseinander zu halten. Bei der Rechtschreibung und Grammatik ihrer Forenbeiträge liegt diese Deutung nahe. Das ist eine Unterstellung, aber mit welchen Hirnverrenkungen diese Hobby-Polizisten ihr Tun rechtfertigen, lässt sich schwerlich logisch nachvollziehen.

Mao: Richtig, statt Unterdrückung abzuschaffen, findet nur eine Verlagerung statt. Die angeblich Unterdrückten werden die Täter.

Utz: Die Betonung liegt auf angeblich. Denn die Armumdreher sind doch mitnichten Opfer von Rassismus, oder? Wenn es um Arbeit mit Opfern von Rassismus ging, habe ich (zum Glück!) von diesem Typus nie einen gesehen. Ich sehe sie immer nur, wenn es darum geht, anderen Menschen etwas zu verbieten, sie einzuschüchtern oder rauszuschmeißen.

Mao: Woher soll man wissen, dass ein Festival gegen Rassismus „Festival gegen alles, was nicht in unser eingeschränktes Weltbild passt" heißen sollte?

Utz: Klar, wenn ich auf ein Christian Death Konzert gehe, erwarte ich auch nicht, dass drinnen die spanische Inquisition auf mich wartet. Du gingst mit diesem plakativ antisexistischen T-Shirt auf dieses Festival und redetest angeregt mit Menschen, die das T-Shirt gut fanden. Du hattest sogar einen Aufkleber „Ich brauche Feminismus“. Irgendjemand mochte dann das T-Shirt nicht.

Mao: Einige Feministinnen fanden das T-Shirt geil.

Utz: Wem es wirklich um die Freiheit der Frauen geht, findet das T-Shirt auch geil. Es laufen zwar unter dem Label tatsächlicher Freiheitsrechte faschistoide Kampagnen ab. Aus Befreiung von Sexismus wird Unterdrückung des Sexus, und der autoritäre Charakter tobt sich aus. Aber es fliegen nicht nur als Emanzipation verkleidete Tarnkappenbomber herum. Wie kam es dann, dass du vom Konzert flogst?

Mao: Einige regten sich auf. Ich habe darüber gelacht, dass sich die Damen durch so ein Shirt provozieren lassen und nicht weiter erklärt, worum es sich handelt.

Utz: Mit dem Lachen provoziertest du die Gewalt,. Hättest du klein beigegeben und geschworen, nie wieder schmutzige Gedanken zu haben, wärest du als reuiger Sünder geblieben. Wie ging es dann weiter?

Mao: Zwei, die auf der Bühne standen, brüllten Parolen und haben das ganze angezettelt. Jetzt wundert mich nichts mehr.

Utz: Die brüllten also eine Variante von „da ist die Hexe“, und dann es stürzten sich Leute auf dich?

Mao: Nein, zuerst forderten mich die „Sicherheitsleute“ auf, mein T-Shirt umzudrehen. Ich weigerte mich und hielt es auch für lächerlich, darüber zu diskutieren.

Utz: Wie verhielten sich die Feministinnen, die das T-Shirt gut fanden?

Mao: Sie fielen in die Meute ein. Die Ordner drohten mir, ich müsste es umdrehen oder gehen. Ich sagte nein. Dann stürzte sich der Haufen auf mich.

Utz: Wie reagierten die Besucher auf diesen Gewaltakt?

Mao: Keiner griff ein.

Utz: Ein aufschlussreiches Signal von Leuten, die sich als „Antirassisten“ verstehen. Dabei stehen, nichts tun, oder weglaufen. Zivilcourage ist solchen Angsthabern ein Fremdwort. Lieber lassen sie sich von den Angstschürern ein Feindbild einimpfen. Wenn sie nicht einmal fragen, was los ist, warum die Ordner einen Menschen mit Gewalt vom Platz schleifen, dann ist mit solchen Wohlfühl-Aktivisten nichts anzufangen, wenn es richtig ernst wird. Da darf man sich keine Hoffnung machen. Das meintest du wohl auch mit verlogen. Wussten sie, worum es ging?

Mao: Das wussten sie nicht. Ich selbst auch nicht. Ich wusste nur, dass mir diese Rausschmeißer befahlen, das T-Shirt auszuziehen.

Utz: Autoritäre Charaktere lieben es, endlich einmal Polizist zu spielen. Bei der Polizei hätte sie aber keiner genommen - das ist eine zu anspruchsvolle Ausbildung. Und dann ging es los?

Mao: Ja, dann stürzten sich fünf auf mich, einer drehte mir den Arm um, und sie schleiften mich vom Platz.

Utz: Diese Sandkasten-Möchtegern-Bullen würde ich wegen Körperverletzung anzeigen. Der bürgerliche Rechtsstaat darf nicht das Ende der Geschichte sein, ist aber besser als dieser Vorgänger: Denunziantentum und Hexenjagd.

Mao: Übertreib nicht, die haben das wahrscheinlich nur gut gemeint.

Utz: Das ist das Problem.

Mao: Diese ganzen Terroristinnen, Politikerinnen, Inländerinnen, Ausländerinnen, und Professorinnen find ich voll neutral – ey.

Das übergriffige T-Shirt – Ein Epilog

Die Freunde der Rauschmeißer drehten notdürftig das Verhältnis von Täter und Opfer um:

Ein „Powerjohn“ (Name geändert) erläutert: „Ich vermute, das Verfahrenskonzept liegt nicht offen. Definitionsmacht heißt, eine tendenziell von Abwertung und/oder Gewalt betroffene Person bestimmt einen Übergriff selbst.“ Was war gemeint? Meinte er, dass Mao sich während des Übergriffes selbst bestimmt, und sich gegen den Greiftrupp zur Wehr setzt? Gemeint war – und dies heraus zu finden, bedurfte kriminalistischen Spürsinns: Das übergriffige T-Shirt! Die keifenden Hexenjägerinnen auf der Bühne und ihre willigen Vollstrecker definierten, dass das T-Shirt übergriff.

Eine sich tendenziell bedroht fühlende Person bestimmt also einen Übergriff selbst, ähnlich wie beim Rorschach-Test, wo der Patient seinem Therapeuten die schweinischen Bilder unterstellt, die er selbst in Tintenklecksen sieht. So macht das auch Sarrazin: Weil er sich von Frauen mit Kopftuch bedroht fühlt, haben die das abzulegen.

Lieber würde der Angsthaber jeden anderen zum Teufel jagen, als die Quelle seiner Angst bei sich zu suchen. Wer meint, keine inneren Dämonen zu haben, ist gefährlich, denn das heißt entweder, dass er lügt, oder sich mit ihnen nicht auseinander setzt. Dann sieht er sie in der Außenwelt. Wer Probleme mit Bildern von starken Frauen hat, der empfindet sie als bedrohlich. Witzig ist das nicht. Jeder Jurist kennt falsche Zeugen, falsche Ankläger und empfundene Bedrohungen, falsch Beschuldigte und sogar sich selbst falsch Beschuldigende. Jeder Horror-Autor weiß, wie er seine Leser in eine emotional bedrohliche Situation bringt, ohne dass eine Bedrohung existiert. Horror braucht ein Monster, und davon lebt jeder Thriller. Die Monster entstehen aus der Angst der Leser. Sie brauchen (und lieben) diese Angst.

Von einer empfundenen Angst auf eine reale Bedrohung zu schließen, ist kein Definitonsrecht, sondern ein Kardinalfehler. Traumatisierte, Borderliner und Angstgestörte, aber auch Menschen mit stabiler Psyche ängstigen sich bei Schlüsselreizen. Bei dem einen sind das große Hunde, bei dem anderen Männer mit langen Haaren, bei dem nächsten Spinnen. Diese Angstbilder des eigenen Unbewussten auf Andere zu projizieren, war die Grundlage der Hexenprozesse der frühen Neuzeit, als reale Menschen für Angst, die zur Hysterie wurde, auf dem Scheiterhaufen brannten. Wenn unsere Angstbilder Realität wären, müsste es in unseren Städten vor Massenmördern, Menschenfressern und Monstern wimmeln – aber zum Glück sind nur unsere Bücherregale voll davon.

„Auch wenn es wehtut, lern einfach bitte deine Lektion. Die erzählt dir davon, dass nicht alles, was gut gemeint ist, auch gut ist, und dass die Konsequenzen von Fehlern umso mehr wehtun, je konsequenter sich geweigert wird, deren Realität anzuerkennen,“ balsamiert „Powerjohn“ dem Rausgeworfenen und demonstriert damit, dass er auf Facebook postet, bevor er in den Spiegel guckt. Guckt er danach in den Spiegel? Hoffentlich.

Er versucht sich in schwarzer Pädagogik: „Es hat sich jemand über die explizit sexualisierte Darstellung auf deinem T-Shirt beschwert, weswegen dir die Wahl stand, es abzukleben oder zu gehen. Das wurde dir so gesagt. Punkt.“ Was bedeutet das? Es hat sich jemand über die explizit sexualisierte Darstellung in „Lady Chatterleys Liebhaber“ beschwert. Der Verlag steht deshalb vor der Wahl die Stellen entweder zu streichen, das Buch nicht weiter zu verlegen oder solche entartete Kunst öffentlich zu verbrennen. Oder von offizieller Ebene wird die Fatwa darüber verhängt, wie bei „Die Satanischen Verse“ von Salman Rushdie. Der bürgerliche Rechtsstaat ist gegenüber der willkürlichen ebenso wie gegenüber der offiziellen Zensur ein Geschenk an die Menschen. Immerhin liegt da die Beweislast beim Denunzianten und nicht bei dem, der behauptet, er hätte die Hexe beobachtet, wie sie das Gewitter herbei zaubert. In einem rechtsstaatlichen Verfahren würde sich vermutlich heraus stellen, dass nicht das T-Shirt einen „Übergriff“ beging, sondern die Körperverletzer einen Übergriff. Pathologisch Projezierende verstehen jedoch nie, dass sie die Täter sind. Das macht sie gefährlich.

„Powerjohn“ stören explizit sexualisierte Darstellungen nackter Frauen, in diesem Fall eine Stärke ausstrahlende Frau. Das wundert nicht. Auf seinem Profilfoto posiert er wie eine Mischung aus Sido und Bushido. Seine schwarze Pädagogik „Wer nicht hören will, muss fühlen“, lässt vermuten, dass es sich nicht um Ironie handelt. Klar, dass einer, der sich seine Männlichkeit so beweisen muss, Angst vor starken Frauen hat, selbst auf einem Bild. Warum müssen aber die Freiheit liebende Menschen darunter leiden, dass ihm niemand erklärte, dass Papa die Mama nicht umbringt, wenn aus dem Schlafzimmer komische Geräusche kommen? Auch das ist nicht witzig.

Ein anderer Freund der RauswerferInnen salutiert: „Also wenn du schon von mehreren Sicherheitskräften vom Gelände gebracht wurdest, wirst du wohl auch nicht gerade ruhig geblieben sein. Allein das ändert die Meinung über einen Menschen und reicht zu dem für einen Platzverweis.“ So spricht der Spießer, der weiß, dass alle Obrigkeit von Gott kommt. Das hat jeder gehört, den die Polizei auf einer linken Demo zusammen geschlagen hat. Irgendwas wird die Hexe schon getan haben. Brennt bei ihr Licht, liest sie ihre Zauberbücher. Ist das Licht aus, dann geht sie heimlich ihren bösen Taten nach.

„Powerjohn“ gibt einen Hinweis auf sein Elternhaus. Da war wohl der Rohrstock angesagt: „Zuletzt, dass du vllt auch anders kannst, als mit der Brechstange, und dann auch anders als mit der Brechstange zurück bekommst.“ Die Brechstange beherrschten seinesgleichen - gewiss. Der Rausgeworfene trug ein T-Shirt mit einem Bild, und die Kraft des Wortes ist die Fahne, die an die Stange freiheitswilliger Menschen gehört.

„Lächerliche Aktion, aber man braucht ja Feindbilder? Sonst gibt es ja keinen Grund mehr, sich aufzuregen“, schließt Mao. Je mehr Angst Menschen haben, desto mehr definieren sie sich über einen äußeren Feind. Das zeichnet den autoritären Charakter aus. Er definiert sich über vermeintliche Defizite des vermeintlich anderen statt über eigene Fähigkeiten. Satire, Kunst und Freiheit der Meinung sieht der rasende Puritaner deshalb als Bedrohung an, die er verbieten muss. Lachen nimmt die Angst und bricht hoffentlich auch den autoritären Charakter auf.

„Dem kann ich persönlich durchaus etwas abgewinnen, aber öffentliche Provokation kann doch kein gewünschter Normalzustand sein“, raunzt „Powerjohn“, guckt heimlich also doch gerne starken Frauen nach. Aber bitte zertrümmere deshalb nicht, was du dir in deinem stummen Schrei nach Liebe nicht erlaubst.

Wir können noch lachen, und das sollten wir verteidigen.

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sopos 6/2013