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 Mit Balken gegen SplitterRalph Hartmann   Das  Superwahljahr hat begonnen. Die CDU hat sich in der zurückliegenden  Vorweihnachtszeit mit einem Adventsspiel der besonderen Art darauf eingestimmt.  Auf ihrem Parteitag in Stuttgart hat sie in einem Grundsatzbeschluß einen  Staat, einen verschwundenen dazu, dessen »Verklärung« sie bitter beklagt, zu  ihrem Hauptfeind erklärt. Zwei Ziele sollen mit einem Schlag erreicht werden.  Die Linkspartei soll – deren Führung man manches vorwerfen kann, aber gewiß nicht,  daß sie den untergegangenen Staat verklärt – soll als DDR-erblastig verteufelt  werden; damit zugleich soll dem Volk vor Augen geführt werden, daß es zum  Kapitalismus, so krisengeschüttelt er auch ist, keine Alternative gibt. Wie  denn auch, wenn die CDU resümiert: »40 Jahre Diktatur, Unfreiheit und  sozialistische Planwirtschaft haben katastrophale Erblasten materieller und  immaterieller Art hinterlassen.«Trotz dieser grauenhaften Gesamtbilanz sieht sich  die Partei zu dem indirekten Eingeständnis gezwungen, daß es in der DDR soziale  Errungenschaften gab. Aber auch für diese hat die CDU eine Erklärung: »Die  Leistungen der Sozialpolitik, auf die heute die Partei ›Die Linke‹ so oft  hinweist, beruhten nicht auf der eigenen Wirtschaftskraft der DDR, sondern zum  erheblichen Teil auf Schulden im westlichen Ausland. Daran sollte bei heutigen  Diskussionen häufiger gedacht werden ...« Da die CDU vorgibt, christlich zu  sein, könnten wir sie an das 8. Gebot des Himmlischen Vaters erinnern: »Du  sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten«. Freilich, das Gebot  gilt hier möglicherweise nicht, da Parteichefin Merkel weder ihr Geburtsland  noch die Linkspartei als ihre Nächsten betrachtet. Aber vielleicht kann der  Apostel Matthäus helfen, der Jesus Christus zitiert: »Verurteilt nicht andere,  damit Gott euch nicht verurteilt. Denn euer Urteil wird auf euch zurückfallen,  und ihr werdet mit demselben Maß gemessen werden, das ihr bei anderen anlegt.  Warum kümmerst du dich um den Splitter im Auge deines Bruders und bemerkst  nicht den Balken in deinem eigenen? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: ›Komm  her, ich will dir den Splitter aus dem Auge ziehen‹, wenn du selbst einen  ganzen Balken im Auge hast? Du Scheinheiliger, zieh erst den Balken aus deinem  Auge, dann wirst du klar sehen und kannst dich auch um den Splitter im Auge  deines Bruders kümmern.« Auch hier stört eventuell der Bruder, doch die  christlichen Hinweise auf Splitter, Balken und Scheinheiligkeit treffen zu.
 Wem will die CDU weismachen, daß die Leistungen der  Sozialpolitik der DDR – von Vollbeschäftigung ohne Angst um den Arbeitsplatz  und Chancengleichheit im Bildungswesen bis zur vorbildlichen gesundheitlichen  Betreuung der Kinder und Jugendlichen – auf Auslandsschulden zurückzuführen  sind? Bekanntlich betrugen diese Schulden 1989, arg genug, laut Angaben der  Bundesbank zwölf Milliarden Dollar, also nach heutigem Kurs rund 8,5 Milliarden  Euro. Die Verschuldung der Bundesrepublik beträgt gegenwärtig weit mehr als  1.500 Milliarden Euro, und trotzdem können sich ihre sozialen Leistungen nicht  mit denen der DDR messen. Dieser BRD-Balken ist mit dem DDR-Splitter schwerlich  zu vergleichen.
 Neu  ist das Verfahren nicht, abfällig und verleumderisch auf die DDR zu zeigen,  ganz vergessend, daß dabei drei Finger auf die Verleumder selbst gerichtet  sind. An Beispielen mangelt es nicht, vier weitere mögen genügen:
 Fast 20 Jahre nach dem Ende des ostdeutschen Staates  werden mit Hilfe der Gauck-Birthler-Behörde immer wieder – je nach politischem  Bedarf – personenbezogene Akten des Ministeriums für Staatssicherheit den  Medien, sogenannten DDR-Aufarbeitern und anderen Interessierten zugänglich  gemacht und Hetzkampagnen entfacht. Einsicht in die Unterlagen des  Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Verfassungsschutzes wird hingegen sogar  denjenigen verweigert, über die sie angelegt wurden, und »geheime« Akten über  den Massenmörder Eichmann bleiben mindestens 60 Jahre unter Verschluß (Ossietzky 23/2008). Inoffizielle  Mitarbeiter des 1989 dahingeschiedenen DDR-Geheimdienstes werden noch heute  gejagt und verfemt, aber V-Leute des sehr lebendigen BND und des  Verfassungsschutzes werden geschützt, nicht selten reich honoriert und im  Verborgenen geehrt. An die mittelalterliche Inquisition erinnert der jüngst  vorgelegte Bericht des sogenannten Ehrenrates der Berliner Zeitung über die Jahrzehnte zurückliegende IM-Tätigkeit  von Redakteuren, durch die die Glaubwürdigkeit des Blattes gelitten habe. Nach  aktiven V-Leuten in der Redaktion hat der »Ehrenrat«, dem neben dem zutiefst  unparteiischen Pfarrer und Vorsitzenden der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der  SED-Diktatur, Rainer Eppelmann (CDU) und seltsamerweise auch Thomas Langhoff,  langjähriger Intendant des Deutschen Theaters, angehörte, nicht gesucht.
 Verbissen weigerte sich die CDU, gemeinsam mit der  Linkspartei eine Entschließung des Bundestages zum 70. Jahrestag der  Pogromnacht und zum Kampf gegen den Antisemitismus zu verabschieden, da die DDR  angeblich eine verkappte antisemitische Politik betrieben habe. Die Weigerung  kam ausgerechnet von jener Partei, deren erster Vorsitzender, Bundeskanzler  Konrad Adenauer, Hans Maria Globke, den juristischen Vorbereiter des Holocaust,  zum Chef des Kanzleramtes und obersten Personalchef der Bundesrepublik erkor.
 Jahr für Jahr erinnert die CDU am 21. August an die  Teilnahme der Volksarmee der DDR an der Niederschlagung des »Prager Frühlings«.  In der Regel wird dabei unterschlagen, daß sie sich nicht am Einmarsch  beteiligte, sondern lediglich – und das gehört gewiß nicht zu ihren Ruhmestaten  – durch Truppenkonzentrationen an der Nordgrenze der CSSR den Druck auf das  Nachbarland erhöhte. Doch wann erinnert die gleiche Partei am 24. März, am  Jahrestag des NATO-Überfalls auf Jugoslawien, an die aktive Teilnahme der  Bundeswehr an der verbrecherischen Aggression gegen das Balkanland?
 Schon jetzt ist zu erwarten, daß im »Gedenkjahr  2009« im Fernsehen wieder und wieder die bekannten Bilder vom rigiden Vorgehen  der Volkspolizei zwischen dem 2. und 9. Oktober 1989 gegen friedliche  Demonstranten gezeigt werden. Daß sich unter den Protestierenden zahlreiche  Rowdies und Provokateure befanden, die mit Fäusten, Steinen und Eisenstangen  gegen die Sicherheitskräfte vorgingen, wird vermutlich keine Erwähnung finden,  um so mehr aber deren teilweise übermäßige, empörende Reaktionen und die  Verhaftungen. Und in der Bundesrepublik? Hier vergeht kaum ein Monat, in dem  die Polizei nicht mit brutaler Gewalt, mit Einkesselung, Knüppeln,  Wasserwerfern und Reizgas gegen Demonstranten vorgeht. In der DDR wurden nach  den einmaligen Vorfällen Untersuchungsausschüsse gebildet und öffentliche  Anhörungen abgehalten; die Polizeipräsidenten, der Innenminister und selbst das  Staatsoberhaupt entschuldigten sich vor der Volkskammer. Dagegen ist es in der  Bundesrepublik üblich, daß Regierungspolitiker das gewaltsame Vorgehen der  Polizei rechtfertigen und Demonstranten vor Gericht gestellt werden. Was würde  wohl erst geschehen, wenn im Rechtsstaat BRD gewalttätige Demonstranten  versuchen würden, den Ort einer Festveranstaltung mit zahlreichen ausländischen  Staatsoberhäuptern, wie im Falle der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR  im Palast der Republik geschehen, zu stürmen? Selbstverständlich würden sie mit  Samthandschuhen angefaßt und höflichst gebeten, von ihrem Tun abzulassen.
 
 Erschienen in Ossietzky 1/2009 
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