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 Die verratene RevolutionHans Krieger   Revolution  ist pfui Teufel, in München noch mehr als in Berlin. Von den umstürzenden  Ereignissen der Monate zwischen dem 7. November 1918 und dem 1. Mai 1919 ist im  öffentlichen Bewußtsein nicht mehr geblieben als die Erinnerung an einen  chaotischen Mummenschanz mit bolschewistischen Zügen, dem die Kräfte der  Ordnung gottlob ein rasches Ende bereitet haben. Was will man da erwarten, wenn  das Haus der Bayerischen Geschichte, eine Gründung, aber darum noch nicht  notwendig ein Instrument der CSU, eine Ausstellung über die Revolution 1918/19  in München konzipiert und das Münchner Literaturhaus, eine Gründung der Stadt,  aber mehr oder weniger in der Hand des Bertelsmann-Konzerns, diese Ausstellung  in seinen Räumen zeigt?Zu zeigen wäre, daß das hungernde Volk zu Beginn des  fünften Kriegswinters nicht nur den Krieg satt hatte, sondern die  Klassenherrschaft, die es in diesen Krieg geführt hatte, und daß es sich erhob,  um eine neue, bessere Ordnung zu erkämpfen. Auch daß es sich um eine  Massenbewegung handelte, die in München, anders als in Berlin, einen  klardenkenden und weitblickenden Führer hatte: Die staatsmännische Leistung  Kurt Eisners, durch Mörderhand vorzeitig beendet, wäre deutlich zu machen. Zu zeigen  wäre, daß diese Massenbewegung im Kern sozialdemokratisch war und ihr  Rätesystem basisdemokratisch und nicht antiparlamentarisch verstand. Zu zeigen  wäre – was freilich einen kurzen Blick über den bayerischen Zaun erfordert  hätte –, wie die in Bayern und in Berlin regierende Sozialdemokratie die seit  Jahrzehnten von ihr herbeigeredete Revolution aus Angst und Ordnungsliebe  verriet und der Gegenrevolution ans Messer lieferte, ihr eigenes Kind also im  Wochenbett erwürgte. Zu zeigen wäre, daß die am 5. April 1919 in München  ausgerufene Räterepublik, die erst kurz vor ihrem Ende unter kommunistische  Führung geriet, ein letztes Aufbäumen war gegen die reichsweite Liquidierung  der Revolution durch ein 400.000 Mann starkes Heer mordbereiter Freikorps, die  dann auch in München, nach der militärischen Niederschlagung der Räterepublik,  wie SA-Horden wüteten und ein Blutbad anrichteten.
 Die Ausstellung breitet viel Material aus,  Flugblätter, Aufrufe, Akten, Fotos, und wirft mit oberflächlichen Kommentaren  unscharfes Licht auf Einzelaspekte. Geklärt wird nichts, Zusammenhänge werden  nicht erkennbar. Wer nicht schon einigermaßen Bescheid weiß, bleibt verwirrt  und nimmt nicht mehr mit, als was ohnehin schon Klischee ist. Und oft ist die  Ausstellung auffallend einäugig. Der Erschießung von zehn Geiseln (darunter  acht Mitgliedern der Thule-Gesellschaft, der Keimzelle der Nazi-Bewegung) durch  die Räterepublikaner widmet sie mehr Aufmerksamkeit als dem blutgierigen Terror  der Freikorps, der für weit mehr als neun Zehntel der Todesopfer dieser  turbulenten Wochen verantwortlich ist.
 Aber schon durch das Ausstellungs-Plakat konnte man  gewarnt sein. Da sieht man einen heftig gestikulierenden bärtigen Mann mit  umgehängter Flinte. So, nicht wahr, stellt man sich einen gefährlichen Revoluzzer  vor. Und darunter steht ja auch in Riesenlettern: »Revolution!« Bloß handelt es  sich bei diesem Fotoausschnitt, wie schon die weiße Armbinde erkennen lassen  könnte, um einen Anführer der bewaffneten »Bürgerwehr«, der gerade  gefangengenommene Anhänger der Räterepublik abführt; die Aufnahme stammt von  Heinrich Hoffmann, dem späteren Hoffotografen Hitlers.
 Als historisches Kuriosum, das kaum mehr  verständlich zu machen ist, erscheint hier ein Ereignis, über das Sebastian  Haffner geschrieben hat: »Deutschland krankt an der verratenen Revolution von  1918 noch heute.« Das ist auch schon wieder vier Jahrzehnte her und doch immer  noch gültig.
 
 Erschienen in Ossietzky 1/2009 
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