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 Der widerspenstige HaufenJürgen Rose    Die  in dieser Artikelserie bisher geschilderten Fälle von Gehorsamsverweigerung  unterscheiden sich in mancher Hinsicht. Die SoldatInnen handelten  unterschiedlich, und sie erfuhren unterschiedliche Reaktionen der Militär- und  Justizapparate. Doch es gibt etwas, was alle Fälle unübersehbar verbindet, und  dies gründet in dem spezifischen Selbstverständnis des Militärs in der modernen  Gesellschaft. Das Verhalten der militärischen Führung wird nicht mehr unbedingt  von vorbehaltloser Bereitschaft zum Kriege bestimmt, sondern oftmals eher von  Vorsicht und Zurückhaltung. Dazu kommt, wie Gustav Däniker, Divisionär, also  Zwei-Sterne-General, der Schweizer Armee einmal anmerkte, ein weiterer Faktor:  »Ob es uns paßt oder nicht: Der Soldateneid ... hat seine unbefristete und  unauflösliche Wirkung im Zuge des allgemeinen Wertewandels nach und nach  verloren. Man legt ihn nicht mehr auf den Feldherrn oder eine Ideologie,  sondern auf die Nation und ihr Grundgesetz ab.« Gerade die hier vorgestellten Fälle von  Gehorsamsverweigerung, alle begründet mit Verstößen von Vorgesetzten sowohl  gegen das ius ad bellum als auch gegen  das ius in bello, bestätigen:  SoldatInnen können nicht mehr pauschal als bloße Handwerker des Krieges »mit  flatternden Idealen und einem in Landesfarben angestrichenen Brett vor dem  Kopf« gelten, wie Kurt Tucholsky einst geschrieben hat, sondern mitunter auch  als Verfassungspatrioten. In der Bundeswehr entspricht dieser Typus exakt dem  vor allem von dem deutschen General Wolf Graf von Baudissin nach dem Zweiten  Weltkrieg propagierten Leitbild vom Staatsbürger in Uniform, der seine  ethischen Überzeugungen und politischen Vorstellungen eben auch im  Militärdienst nicht preisgibt. Dieses selbstbewußte Verhalten findet sich nicht  nur im deutschen Militär, auch in anderen Ländern »nimmt sich der einzelne  Soldat, eine Kompanie, ein Regiment oder sogar ein größerer Verband nicht  selten die Freiheit zu entscheiden, welche Befehle befolgt werden und welche  nicht« (Däniker). Soldaten sind  sogar, wie hier schon dargelegt, ausdrücklich dazu verpflichtet,  völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Befehlen den Gehorsam zu verweigern;  diese Verpflichtung gilt weltweit.
 Entscheidend sind heute die innere Einstellung, die  Motivation einer Truppe, die Identifikation mit ihrem Auftrag. »Wenn sie ihrer  Führung vertraut und die ›Kriegsziele‹ akzeptiert, ist sie zu praktisch allem  bereit. Wenn ihre innere Einstellung der Auffassung der (militärischen oder  politischen) Führung widerspricht, kann es zu Aufruhr oder mindestens zu  Passivität kommen« (Däniker).
 Wie bedeutsam dieser Faktor ist, hat David Cortright  exemplarisch in seiner Untersuchung »Soldiers in Revolt: GI Resistance During  the Vietnam War« (Chicago 2005) gezeigt, die zu dem Ergebnis führt: »Die  Vietnam-Erfahrung lehrte, daß Widerstand in den Reihen der Unteroffiziere und  Mannschaften eine mächtige Kraft zur Zügelung imperialer Ambitionen und zur  Beendigung eines illegitimen Krieges bildet.« Schlagend demonstrieren auch  heutzutage die Angriffskriegsverweigerer unterschiedlicher Provenienz, daß  Befehle für zweifelhafte Zwecke nicht mehr bedingungslos ausgeführt werden. »Wo  die Legitimität der Kommandogewalt nicht eindeutig feststeht und die gerechte  Sache nicht für jedermann einsichtig ist, wird das ehemals gefürchtete  Instrument ... zum widerspenstigen Haufen« (Däniker).
 Das bedeutet, daß Militär in zunehmenden Maße nicht  mehr für beliebige politische Zwecke zur Verfügung steht, und zugleich, daß  Soldaten nicht mehr automatisch für den Einsatz im Rahmen kriegerischer  Interventionen motiviert sind. Zwar sind die Verweigererzahlen zur Zeit so  gering, daß sich die politischen und militärischen Entscheidungsträger keine  übertriebenen Sorgen vor massenhafter Verweigerung von SoldatInnnen machen  müssen. Nichtsdestoweniger muß es sie beunruhigen, daß sich ein neuer Typus des  Soldaten herausgebildet hat, der nicht bereit ist, Kadavergehorsam zu leisten,  und der sich auch nicht von den durchaus gravierenden Sanktionen der  Militärjustiz abschrecken läßt, seinen individuellen Vorstellungen von Recht  und Gewissen gemäß zu handeln. Denn wie die geschilderten Fälle von  Gehorsamsverweigerung hierzulande und anderswo in der Welt zeigen, wird auf die  renitenten Gewissenstäter nicht unerheblicher Druck ausgeübt. Die Vorwürfe  reichen von unerlaubter politischer Betätigung, die den als sakrosankt  verstandenen Primat der Politik infrage stelle, bis hin zur Herausforderung der  Demokratie. Auch würden die militärische Moral und Disziplin unterminiert.  Regelmäßig insinuieren die Ankläger, die Gehorsamsverweigerer hätten gar keine  persönlichen Gewissensgründe, sondern schöben diese nur vor, um ihre politische  Motivation zu camouflieren. Ebenso habituell weigert sich die damit befaßte  Justiz, gleich ob Militär- oder Zivilgerichte, die zur Rechtfertigung  widersetzlichen Handelns vorgebrachten Gründe – nämlich illegale und  unmoralische Angriffskriegführung sowie schwerwiegende Verstöße gegen die im  Humanitären Völkerrecht kodifizierten Regeln der Kriegführung – zum Gegenstand  ihrer Rechtssprechung zu machen. Doch sowohl die politische Leitung als auch  die militärische Führung kommen um die Erkenntnis nicht herum, »daß nicht nur  der einzelne Soldat, sondern selbst die härteste Truppe eine Seele besitzt und  ebenso ein Gewissen, das ihr sagt, was man tun darf und was nicht« (Däniker). Wie genau sich der moderne  Soldat dessen mitunter bewußt ist, demonstrierte First Lieutenant Ehren K.  Watada (s. Ossietzky 24/08), als er  sagte: »Um einen illegalen und ungerechten Krieg zu stoppen, können Soldaten  sich entscheiden, den Kampf einzustellen. … Wenn Soldaten erkennen, daß Krieg  dem entgegensteht, was die Verfassung gebietet – wenn sie aufstehen und ihre  Waffen niederlegen –, kann kein Präsident jemals wieder einen Angriffskrieg  beginnen.«
 Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung  des Angriffskriegs, die in Ossietzky 1/08 begann, wird fortgesetzt. Der Autor,  Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen  gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen  Auffassungen darlegt. 
 Erschienen in Ossietzky 1/2009 
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