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 Churchill muß schuld gewesen seinKurt Pätzold    Schiffskatastrophen  gehen immer. Ins Kalkül von Fernsehintendanten übersetzt heißt das: Sie finden  ihre Zuschauer, die Quote stimmt. Das hatte sich schon an den Filmen über die  »Titanic« und die »Wilhelm Gustloff« erwiesen und bestätigte sich an der  »Lusitania«, einer britisch-deutschen Gemeinschaftsproduktion, die schon 2007  im Inselreich mehr als fünf Millionen Zuschauer fand. Kürzlich, zwischen den  Festen des Friedens und der Vorfreude auf das Jahr mit den angekündigten  schlechten Nachrichten, kam sie in das Programm der ARD. Annonciert und ursprünglich beabsichtigt war ein  Dokumentarstreifen, zu sehen hingegen ein Katastrophenkrimi, fußend auf einem  Ereignis aus der Geschichte des Ersten Weltkriegs, das Historiker,  Völkerrechtler und vor allem Publizisten immer wieder beschäftigt und Stoff zu  anhaltenden Kontroversen geliefert hat. Die »Lusitania«, ein Passagierdampfer der britischen  Cunard-Reederei, eines der größten, modernsten und schnellsten Schiffe seiner  Zeit, 1907 in Dienst gestellt, wurde am 7. Mai 1915 auf seiner Überfahrt von  New York nach Liverpool von dem deutschen Unterseeboot »U 20« nahe der Südküste  Irlands versenkt. Die Mehrzahl der Passagiere, insgesamt 1198 Männer, Frauen  und Kinder, überlebten den Untergang nicht. Die Attacke war durch den wenige  Monate zuvor ergangenen Befehl der kaiserlichen Marineleitung ermöglicht, der  den U-Boot-Kommandanten die warnungslose Versenkung auch von  Nichtkriegsschiffen durch Torpedos in dem von Deutschland zur Kriegszone  erklärten Seegebiet um die britischen Inseln erlaubte. Das widersprach den bis  dahin geltenden und respektierten Praktiken des Seekriegs und war daher auch  nach den Maßstäben des Völkerrechts ein Kriegsverbrechen, doch wie auf  Verabredung vermeiden Film wie Filmkritik diesen Begriff. Der Tatbestand des  Kriegsverbrechens ist nicht dadurch aufgehoben, daß zur Ladung der »Lusitania«  für Großbritannien bestimmtes Kriegsmaterial (Munition und für die Herstellung  von Munition bestimmte Rohstoffe) gehörte, ein Sachverhalt, den der Kommandant  ohnehin nicht kannte, der später aber herangezogen wurde, die Schuld am Tode  der Reisenden mindestens zu halbieren.
 Die Tendenz der Filmhandlung hatten die britischen  Partner vorgegeben, und die deutschen fanden daran nichts auszusetzen.  Befriedigt konstatierte die Berliner  Morgenpost: »Auch die britische Admiralität machte sich die Hände  schmutzig.« In der Tat spielten sich die Filmszenen, so sie nicht das Geschehen  auf dem Unterseeboot und dem Passagierdampfer zeigten, vorwiegend in Räumen der  britischen Marineführung ab, der das Drehbuch und die Regie eine Leporelloliste  von Fehlern und Unterlassungen präsentierten: Fehl- oder Spätinformation des  »Lusitania«-Kommandanten über die Gefahrenlage, Verweigerung militärischen  Schutzes für den letzten Fahrtabschnitt, Abweisung der Idee, dem Schiff eine  andere Route zuzuweisen, und so weiter. Gezeigt wurde, wie ein Rezensent der Süddeutschen meinte, eine »Riege  eisenharter Realpolitiker« mit dem Ersten Lord der Admiralität Winston  Churchill an der Spitze. Je mehr US-Amerikaner, die eine Minderheit der  Passagiere stellten, auf dem Meeresgrund landeten, desto früher werde sich  Washington als Londons Verbündeter zum Kriegseintritt entschließen, sei  Churchills Kalkül gewesen. Als wäre das eine unbestrittene Tatsache, schrieb  der Spiegel in einer Überschrift  »Churchill ließ die ›Lusitania‹ ins Unglück fahren.« Hauptangeklagt wird nicht  der Täter, sondern derjenige, der die Tat nicht verhindert hat.
 Auf deutscher Seite kommt anderes Personal in den  Blick. Ein Matrose aus der Mannschaft, der den Befehl zum Torpedoschuß beim  Gedanken an die Frauen und Kinder nicht weitergeben will, ein anderer, der den  Angriff hingegen mit dem Argument rechtfertigt, die britische Blockade lasse in  der Heimat seine Familie verhungern; dann, als die Detonation zu hören ist,  sieht man Jubel, schließlich Offiziere, die sich beim Blick durch das Sehrohr  wundern, wie schnell der Riese sinkt. Zudem der Kommandant, von »Feindfahrt«  diesmal noch zurückgekehrt, im Treppenaufgang der deutschen Marineleitung, wo  er strafenden Blickes abgefertigt und, statt Lob und Orden zu ernten, gerügt  wird, denn dieser Schiffsuntergang und die harsche, allerdings nur  diplomatische Reaktion der Regierung in Washington paßten nicht ins deutsche  politische Kriegskonzept.
 Der Spiegel meinte, gezeigt worden sei eine »Bruchstelle der Zivilisationsgeschichte«. Die  lag etwas früher, genauer im August 1914, und der Riß tat sich nicht vor  Irlands Küsten auf, sondern ging von Berlin aus.
 
 Erschienen in Ossietzky 1/2009 
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