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 Krieg gegen die EingemauertenNorman Paech   Ich  kann mich kaum an einen derart schrecklichen Jahreswechsel erinnern wie diesen  mit einem Massaker an den Palästinensern, dessen Ende nicht abzusehen ist.  Schrecklich war dieser Jahreswechsel nicht nur für die Menschen im  Gazastreifen, schrecklich und beschämend auch für Israel, die ganze arabische  Welt, die Europäer und die US-Amerikaner, denn sie haben seit Jahren, seit  Jahrzehnten keine ernsthaften Bemühungen unternommen, einen dauernden Frieden  zwischen den beiden Völkern im Nahen Osten zu sichern. Die Regierungen können sich nicht länger etwas  vormachen. Die Wahrheit ist, daß die sogenannten Friedenskonferenzen von Madrid  über Oslo, Camp David, Taba bis Annapolis zu nichts anderem geführt haben als  zu immer gewalttätigeren Konfrontationen zwischen Juden und Arabern und  schließlich auch zwischen den Arabern selbst.
 Der jüngste Luft- und Bodenkrieg gegen den Gazastreifen  ist ein von langer Hand vorbereiteter Angriff, nicht etwa eine spontane  Reaktion auf die Raketen der Hamas. Der Zeitpunkt ist genau kalkuliert: Nicht  zum ersten Mal soll ein Krieg die Wahlchancen der härtesten Kriegstreiber  verbessern – und in Israel steht die Neuwahl des Parlaments unmittelbar bevor.  In den USA ist der alte Präsident auf dem Rückzug aus dem Amt und der neue noch  nicht im Amt. Der alte steht voll hinter dem israelischen Krieg und der neue  ist offensichtlich unentschlossen. Er vermeidet es, sein Wahlversprechen zu  bekräftigen, dem Völkerrecht wieder den ihm zukommenden Platz in der  US-Außenpolitik einzuräumen. Das ist kein gutes Zeichen für die zukünftige  Nah-Ost-Politik der Obama-Administration. Gerade jetzt ist es notwendig, das  israelische Militär von weiteren massiven Völkerrechtsverstößen abzuhalten.
 Die Politik der letzten Jahre hat nie ernsthaften  Friedenswillen erkennen lassen. Diese Politik erweist sich als kriminell, wenn  wir die Folgen der Luft-, Panzer- und Artillerieangriffe sehen. Sie sind durch  kein Recht auf Selbstverteidigung oder Notwehr legitimiert, wie es  Noch-Präsident Bush und Bundeskanzlerin Merkel behaupten, sondern eindeutige  Kriegsverbrechen, eine ganz und gar unverhältnismäßige Reaktion auf die Raketen  der Hamas.
 Der Gazastreifen ist mit 365 Quadratkilometern kaum  halb so groß wie Hamburg mit 755, hat aber mit 1,5 Millionen Menschen fast  ebenso so viele Einwohner wie Hamburg mit 1,7 Millionen. Er ist das  dichtestbesiedelte Land der Welt. Bei keinem Luftangriff, keinem  Artilleriebeschuß kann Israel die vom Kriegsvölkerrecht geforderte  Unterscheidung zwischen geschützten Zivilisten und legitimen Kampfgegnern  gewährleisten. Der Vorwurf der israelischen Armee, die Hamas-Kämpfer  versteckten sich hinter den Zivilisten und mißbrauchten diese als Schilde, ist  angesichts der Bevölkerungsdichte und der Unmöglichkeit, sich durch Flucht den  Angriffen zu entziehen, nur zynisch. Das Recht wird verhöhnt, wenn das Militär  die Unzahl der zivilen Toten und Verletzten, die Zerstörung von Wohnungen und  zivilen Einrichtungen als Selbstverteidigung rechtfertigen. Und zynisch ist es  auch, wenn die deutsche Bundesregierung ebenso wie die US-Regierung faktisch  nichts gegen die Fortsetzung der Angriffe und die Weigerung der israelischen Regierung,  mit der Hamas über einen Waffenstillstand zu sprechen, unternimmt und  stattdessen zu medizinischer und humanitärer Hilfe auffordert.
 Die Sicherheit Israels wird durch diesen  barbarischen Akt der Bestrafung nicht gefördert, sondern weiter gefährdet. Er  provoziert die Radikalität auf beiden Seiten und heizt die Eskalation der  Gewalt an. Vieles spricht dafür, daß dies auch so gewollt ist, weil die  politisch Verantwortlichen in Israel nicht zum Abzug aus den besetzten Gebieten  bereit sind, der in Friedensverhandlungen von ihnen verlangt wird.
 Seit 1967 hält Israel das Westjordanland und den  Gazastreifen besetzt. Es hat zwar vor drei Jahren seine Truppen und Siedler aus  dem Gazastreifen zurückgezogen, aber das kleine Territorium ganz unter  Kontrolle behalten. Seit dem Wahlsieg der Hamas im Januar 2006 bestraft Israel  mit Unterstützung der EU und USA die Bevölkerung durch eine unmenschliche  Abriegelung und wirtschaftliche Blockade. Die UNO spricht von einer »tiefen  Krise der Menschenwürde«, und Uri Avnery bezeichnet die Blockade als einen Akt  des Krieges, der das Leben im Gazastreifen paralysiert hat: »Diejenigen, die  die Grenzübergänge geschlossen haben – unter welchem Vorwand auch immer –  wußten, daß es unter diesen Bedingungen keinen wirklichen Waffenstillstand  geben kann.« Seit dem Beginn der Blockade beklagt der UN-Menschenrechtsausschuß  immer gravierendere Verstöße der Abriegelungspolitik gegen die Menschenrechte.  Das sind schwerwiegende Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zu Recht haben  deswegen im Dezember vergangenen Jahres US-amerikanische Anwälte gegen  Ministerpräsident Ehud Olmert Strafanzeige beim Internationalen  Strafgerichtshof in Den Haag erhoben.
 Wie jedes Volk unter rechtswidriger Besatzung haben  auch die Palästinenser ein Recht auf Widerstand. Rechtswidrige Besetzer haben  demgegenüber kein Recht auf Verteidigung, sondern nur die Verpflichtung, die  Besatzung vollständig aufzuheben. Während der letzten sieben Jahre sind 14  Israelis zumeist durch Raketen aus dem Gazastreifen getötet worden. In der  gleichen Zeit wurden mehr als 5000 Palästinenser mit Waffen getötet, die auch  aus den modernsten Arsenalen der US-Armee stammen. Vom Westjordanland aus wurde  keine einzige Rakete abgeschossen, doch auch dort starben allein im vergangenen  Jahr 45 Palästinenser von israelischer Hand. Das ist die Realität der  Besatzung, in der jede Art von Waffenstillstand nur dann Sinn hat, wenn die  Besatzung selbst verschwindet.
 Wer hingegen eine Politik der Strangulierung und  Entwürdigung verfolgt, darf sich nicht wundern, wenn aus der Verzweiflung und  Ohnmacht der Opfer Terrorakte entstehen, die die israelische Bevölkerung in der  Nachbarschaft des Gazastreifens treffen. Hamas hat das Ruhen der Waffen  angeboten. Die israelische Führung ist jedoch dazu nicht bereit. Es nutzen  daher auch keine abgewogenen Appelle an beide Seiten, die Waffen ruhen zu  lassen. Denn der Kern des Konfliktes liegt in der Blockadepolitik, die das  Ergebnis der freien und fairen Wahlen von 2006 nicht akzeptieren will. Diese  unverantwortliche Politik haben auch die Regierungen der EU und der USA im  Widerspruch zu ihren eigenen Prinzipien zu vertreten. Es ist eine Schande, daß  sie diese Politik immer noch nicht revidiert haben, sondern die israelische  Verweigerung jeglichen politischen Kontaktes mit Hamas auch noch unterstützen.  Damit sind auch sie für den militärischen Exzeß dieser Tage mitverantwortlich.
 Vordringlich sind jetzt folgende Forderungen:  Sofortiger Stopp der Luftangriffe auf den Gazastreifen; sofortiger Rückzug der  Bodentruppen; Aufgabe der Blockade und der Abriegelung des Gazastreifens;  sofortige Aufnahme von Verhandlungen mit Hamas, damit der Raketenbeschuß  eingestellt wird; Beendigung der israelischen Besatzung. Nur eine politische  Lösung auf dem Weg der Verhandlungen vermag für beide Seiten die Sicherheit  ihrer Existenz und einen dauerhaften Frieden zu schaffen.
 
 Erschienen in Ossietzky 1/2009 
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