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 Evangelikale hoffen  auf ObamaHartwig Hohnsbein     Die  US-amerikanischen Evangelikalen, die 2004 dem nach eigener Darstellung  »wiedergeborenen Christen« George W. Bush zu erneuter Präsidentschaft  verhalfen, wissen schon seit langem: Der auserwählte Nachfolger ihres  langjährigen Anführers Billy Graham wird nicht dessen Sohn Franklin sein,  sondern der »ultrakonservative Evangelikale« (wie ihn sogar focus.de nennt) Rick Warren. Der hat es  nämlich nicht nur verstanden, seine in den 80er Jahren gegründete Gemeinde im  kalifornischen Saddleback Valley dermaßen zu vergrößern, daß jetzt wöchentlich  23.000 Gläubige die Kirche besuchen, sondern er hat für die US-Bevölkerung auch  einen biblischen Ratgeber (»Leben mit Vision«) verfaßt, ein Buch, das mit weit  über 20 Millionen verkauften Exemplaren seit über zwei Jahren auf der  Bestsellerliste der New York Times die Abteilung für gebundene Ratgeber anführt. Dafür wurde er mehrfach »als  einflußreichster Pastor der USA« gewürdigt und vom Time Magazine zu den »hundert einflußreichsten Menschen in der  Welt« gezählt.Seine zentralen Lehraussagen rufen auf zum Kampf  gegen Abtreibung, Homosexualität und die Evolutionslehre Darwins (»Ich glaube,  daß Gott in einem Moment den Menschen erschaffen hat«). Eine Besonderheit im  evangelikalen Lager ist sein Kampf gegen AIDS.
 Im August vorigen Jahres lud Rick Warren die beiden  Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain in seine Kirche zu  einer Glaubensbefragung ein. Da sollten sich die Kandidaten, die demnächst über  die Geschicke der Welt bestimmen wollten, zu so drängenden Fragen wie diesen  äußern: »Welches ist dein größtes moralisches Versagen?« oder »Was bedeutet  Jesus Christus für dich?« – lauter Fragen, die nach demoskopischen Erhebungen  für 85 Prozent der US-Bürger sehr wichtig sind. Für die Frankfurter Rundschau war diese Befragung »das bislang vielleicht  interessanteste Ereignis im US-Wahlkampf«.
 Im Dezember wandte sich der Saddleback-Pastor noch  einmal dem »wiedergeborenen« George W. Bush zu. Das war am 1. Dezember, dem  »Welt-AIDS-Tag«, als er dem scheidenden Präsidenten die neugestiftete  »Internationale Friedensmedaille« für seinen »beispiellosen Beitrag im Kampf  gegen HIV/AIDS« übereichte. Diese Ehrung fand allerdings kaum Beachtung,  vielleicht weil sie als schlechter Witz verstanden wurde, anders als eine Meldung  einige Tage später, eine echte Weihnachtsüberraschung: »Obama wählt  Saddleback-Gründer zur Amtseinführung aus« (New  York Times). Warren wird das »Bittgebet« sprechen.
 Vorbeter bei früheren Amtseinführungen war seit dem  Zweiten Weltkrieg meist der Evangelikale Billy Graham. Und er war danach immer  auch Berater der Präsidenten, oft auch Antreiber, wenn es zum Beispiel um  Kriegseinsätze ging – in Vietnam zur Zeit der Präsidenten Johnson und Nixon  oder im Irak 1991 durch Präsident Bush senior. Die Entscheidung 1991 fiel nach  einer durchbeteten Nacht in Weißen Haus. In den »Gebetskreis«, der dem  künftigen Präsidenten Obama als Beratergremium zur Seite stehen wird, ist Rick  Warren jedenfalls auch schon aufgenommen (s. www.jesus.de).
 Zahlreiche liberale Organisationen, die sich gerade  noch vehement für Obamas Präsidentschaft engagiert hatten, sind empört; sie  sehen in der Berufung Warrens zum Vorbeter ein Zeichen dafür, daß auch der neue  Präsident eine Politik des Krieges fortsetzt und daß die Diskriminierung  Homosexueller weitergeht. Viele Evangelikalen hingegen, durch die  Wahlniederlage ihres Kandidaten McCain gerade noch geschockt, fassen neue  Hoffnung: »This could be Obama´s first change« (Los Angeles Times).
 Vielleicht. Vor knapp zwei Jahren erklärte der neue  Präsident nämlich, damals noch unter dem Einfluß seines »spirituellen Vaters«  Jeremiah Wright, eines engagierten Kritikers des US-amerikanischen  Imperialismus, in bezug auf die evangelikalen Christen: »Bei jeder Gelegenheit  ... flüstern sie dem Rest des Landes ein, religiöse Amerikaner sorgen sich nur  um Themen wie Abtreibung, Homo-Ehe, Schulgebet und Schöpfungslehre ... Früher  hat die konservative ›Christliche Koalition‹ Steuersenkung für Reiche auf ihrer  Prioritätenliste ganz nach oben gesetzt.« Und dann urteilte er: »Ich weiß  nicht, welche Bibel sie lesen, aber das stimmt mit meiner Ausgabe nicht  überein.«
 Demnächst könnte seine Bibelausgabe mit der der  Evangelikalen wieder übereinstimmen. Das meint jedenfalls die New York Times mit der Bemerkung, »die  Wahl von Herrn Warren ist ein Ölzweig an die konservativen christlichen  Evangelikalen«. Die Los Angeles Times vermutet gar die »glänzendste Hoffnung für die Evangelikalen, auch zur  kommenden Obama-Administration Zugang zu gewinnen«.
 Aber was auch immer Warren bei der Amtseinführung in  seinem Bittgebet aussprechen wird, von früheren Bittgebeten wissen wir dieses:  Sie werden nicht immer erhört. Vor vier Jahren bat der Vorbeter um göttlichen  Beistand für den Präsidenten: »Möge dieses Land eine Segnung für die Welt  sein«. Da hatte der himmlische Verbündete, bedauerlicherweise, gerade  weggehört.
 
 Erschienen in Ossietzky 1/2009 
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