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 Wünsche von oben
Otto Meyer    Man  kennt das schon: In geschickter Regie die Weihnachtsstimmung nutzend richtet  zuerst der Präsident via TV warme und mahnende Worte an seine »lieben  Landsleute«. Er bereitet den Boden, damit sich eine Woche später die Kanzlerin  in unsere Wohnzimmer drängen kann. Sie darf dann pragmatisch, zupackender  reden, zwar den Ernst der Lage erwähnen, aber zum Jahreswechsel in  optimistischer Perspektive sich mit Stolz über das schon Erreichte verbreiten.  Beide verwiesen auch diesmal mit symbolträchtigen Zeichen auf ihre Macht: Im  Hintergrund von Köhlers Amtszimmer war die Deutschlandfahne mit dem drohenden  Bundesadler drapiert, Merkel posierte neben der Flagge – zwar ohne Adler, aber  vor dem ins vereinigte Reich heimgeholten Brandenburger Tor.Köhler wünschte zunächst all seinen lieben  »Landsleuten« ein »frohes und gesegnetes Weihnachtsfest«. Um dann mit einem  scheinbar harmlos-frommen Schlenker »jeden von uns, ob Christ oder nicht« in  seine Sicht der Weihnachtsgeschichte einzugemeinden: »Ein Kind wird geboren, in  einem Stall in der Futterkrippe, und mit ihm kommt Licht in die Welt. Menschen  in Sorge und Angst hören den Ruf: ›Fürchtet euch nicht!‹ Dieses Fest und diese  Botschaft brauchen wir, alle Jahre wieder. Denn auch in unserem Alltag ist  vieles nicht heil.«
 Der Präsident gedenkt an erster Stelle unserer  braven »Soldatinnen und Soldaten«, »die in der Ferne für Sicherheit und  Wiederaufbau sorgen«. Kein Gedanke daran, ob die Afghanen das ebenso sehen,  wenn sie von NATO-Soldaten, auch deutschen, getötete Zivilisten zu beklagen  haben. Wagt er wirklich, den Angehörigen der gefallenen Soldaten zuzurufen:  »Fürchtet euch nicht!«?
 Der Festredner kommt zum aktuellen Hauptthema:  »Sorgen macht uns allen die weltweite Finanzkrise … Unvorstellbar viel Geld ist  verspielt worden.« So die schlichte Sicht des einstigen Präsidenten des  Internationalen Währungsfonds, Horst Köhler, der nichts davon weiß, daß sein  damaliger Einsatz für weltweite Markt-Anpassungsprogramme mitursächlich gewesen  ist für die jetzige globale Krise. Für ihn waren da nur leichtsinnige  Falschspieler am Werk. Inzwischen, so klagt er, greife die Angst um Erspartes  und sogar um den Arbeitsplatz um sich, woraus er, nicht eben logisch, für die  »Landsleute« insgesamt den Schluß zieht: »Wir werden uns anstrengen müssen.«
 Doch Köhler versichert: »Ich habe Zuversicht.« Denn  Bangemachen gilt ja nicht an Weihnachten, das »Kind in der Krippe« und die  Botschaft »Fürchtet euch nicht« haben längst auch bei den Regierenden  hierzulande Wirkung gezeigt, wie der Präsident uns erzählt: Es sei »richtig,  daß der Staat entschlossen handelt«. Denn »Bürger und die Politik« hätten mit  den »Reformen der vergangenen Jahre« für ein »gutes Fundament« gesorgt. Womit  er Schröders »mutiges« Kaputtschreddern des Sozialstaates und Merkels und  Münteferings fortführende Minimierung sozialer Standards meint. Oder die  Privatisierungen und Deregulierungen auf allen Ebenen, die unter anderem zum  Aufweichen des Tarifvertragsrechts führten, so daß immer mehr Unternehmer  Entlassungen und Reallohnkürzungen durchsetzen konnten. Der Bundespräsident  lobt all das als »die neue Bereitschaft zum Miteinander in den Betrieben«. Und  er preist »die vielen tüchtigen Menschen …: gut ausgebildete, motivierte  Arbeitnehmer« (mit der Angst vor Hartz IV im Nacken), »ideenreiche, mutige  Unternehmer«. Seine »Zuversicht« sind der Starke Staat und durchsetzungsfähige  Bosse.
 Die Weihnachtsinszenierung mit Tannengrün und  Kerzenschein war keineswegs nur eine harmlose Frömmelei, auch wenn Köhler dabei  auf die nicht zuletzt von den Kirchen mitverschuldete folkloristische  Verharmlosung der ursprünglichen Botschaft zurückgreifen konnte. In den  Evangelien nach Lukas oder Matthäus lesen wir jedoch nichts davon, daß eine  allgemeine Befreiung von der Furcht und »Licht in die Welt« gekommen sei, gar  noch einfach so zu »Menschen in Sorge und Angst« wie du und ich. Maria und  Joseph müssen aus ihrer Notunterkunft im Stall bald wieder fliehen, mit Mord  und Totschlag bedroht durch Herodes. Der damals regierende König war in Angst  und Schrecken geraten, als er von der Geburt des Messias Jesus hörte, des vom  Volk erwarteten Befreiers aus Not und Unterdrückung. Es waren zunächst nur arme  Wanderhirten, die als Mietlinge oder Sklaven des Nachts ihre Herde bewachen  mußten – antike Vorläufer heutiger Leiharbeiter. Nur sie sehen etwas Neues und  hören: »Fürchtet euch nicht! Siehe ich verkündige Euch eine große Freude, die  allem Volk mitgeteilt werden soll: Euch ist heute der Befreier geboren.« Sie  verlassen ihre Arbeitsstätte und machen sich auf den Weg nach Bethlehem – für  sie und die spätere urchristlich-kommunistische Gemeinde Schritte auf dem Weg  einer Veränderung, hin zu einer neuen Freiheit in Solidarität. Und dann  »breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war«. Und  auch der zugesagte Friede Gottes auf Erden soll gelten für »Menschen seines  Wohlgefallens« wie diese armen Hirten; keineswegs wird hier ein allgemeiner  Segen für alle Menschen ausgerufen, wie die falsche Übersetzung in der  traditionellen Lutherbibel nahelegt.
 Auch Köhler redet gegen Ende seiner Ansprache von  Veränderung: »Ich sehe in der Krise auch eine Chance … für eine bessere Ordnung  in Wirtschaft und Finanzen, in der das Kapital allen zu Diensten ist und sich  niemand davon beherrscht fühlen muß.« Glaubt er wirklich an den Weihnachtsmann?  Wie soll das gehen – Kapitalismus ohne Ausbeutung, allen zu Diensten? Aber  nein, er redet ja nicht von Befreiung, nicht von einem neuen Leben in  Solidarität und ohne Unterordnung unter die Zwänge der Kapitalherrschaft.  Letztere sollte nach seiner Meinung durch staatliche Interventionen sogar noch  gestärkt werden. Köhler spricht nur von einer Änderung des Gefühls in den  Beherrschten. Sie sollen all das, was da an Opfern noch auf sie zukommt,  klaglos akzeptieren. Die »Politik« soll ja hunderte von Milliarden an  Steuergeldern und neuen Schulden zur Aufrechterhaltung der Kapitalherrschaft  mit Garantien für weitere Profite bereitstellen, was nur durch Kürzungen im  Sozialbereich und noch höhere Inflationsraten möglich sein wird. Dafür wünscht  er sich eine Änderung des Verhaltens bei den lieben Landsleuten (»Wir brauchen  Anstand, Bescheidenheit und Maß«) und uns allen »eine fröhliche, selige, Gnaden  bringende Weihnachtszeit.«
 Köhlers Vorlage machte es der Kanzlerin leicht. Ohne  frommen Schmus meint auch sie, »Zuversicht« sei angebracht. Forsch kommt sie  daher, und mit Stolz in der Stimme sagt sie, »welch großes Glück es für uns  ist, in Frieden und Sicherheit zu leben«. Viele andere, »zum Beispiel die  Menschen im Nahen Osten, gäben viel dafür.« Mitgefühl ist offenbar nicht ihr  Ding. Und schnell hat sie die Lage eingeschätzt, gibt ihr Urteil ab: »Der  Terror der Hamas kann nicht akzeptiert werden.« Was israelische Raketen und  Bomben anrichten, ist offenbar kein Terror. Das Leid in Gaza diente ihr nur als  Kontrastfolie, denn: »Gemessen an den Sorgen der Opfer von Kriegen und Gewalt  muten unsere Probleme in Deutschland vergleichsweise gering an.« Wer wollte da  etwa an der Kinderarmut in Deutschland herumnörgeln?
 Fein sind wir raus. Ist doch unter der Regierung der  Kanzlerin »Deutschland in den vergangenen drei Jahren gut vorangekommen«, etwa  in Sachen »Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen«. Das soll so weitergehen  – und sie erzählt uns nicht, daß den Menschen auf den schönen neuen  Arbeitsplätzen nur Dumpinglöhne gezahlt werden. Aber sie muß einräumen: »Die  weltweite Krise berührt auch Deutschland.« Es gab »finanzielle Exzesse ohne  soziales Verantwortungsbewußtsein, verursacht durch manche Banker und Manager –  wahrlich nicht aller.« Und so hat die »Welt über ihre Verhältnisse« gelebt.  Jetzt hilft nur, wieder die »Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft« zu  befolgen: »Sie gelten bei uns, aber das reicht nicht. Die Prinzipien müssen  weltweit beachtet werden. Erst das wird die Welt aus dieser Krise führen.« Wir  retten die Welt, denn Merkel versichert: »Die Welt ist dabei, diese Lektion zu  lernen.«
 Ist unsere Kanzlerin nicht eine kluge und mutige  Frau, wie sie mit wenigen Worten die globalen ökonomischen Zusammenhänge  erklärt? Und zugleich der Welt die Leviten liest? Wer aber über seine  Verhältnisse leben möchte, zum Beispiel Slum-Bewohner in der 3. Welt oder  hierzulande die Gewerkschaften mit ihren Forderungen nach Sicherung der  Nettolöhne oder gar nach Mindestlöhnen, darf sich doch über Krisen im  Kapitalismus nicht wundern. Seien wir also getrost: Unter Merkels Führung –  versehen mit Segenswünschen der Kanzlerin und des Präsidenten – sind wir in  Deutschland längst auf einem guten Weg.
 Oder sollten wir herausgehört haben: »Fürchtet  euch!«?
 
 Erschienen in Ossietzky 1/2009 
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