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Die Logik imperialer Weltherrschaft

von Tilman Vogt

Unübertroffen geblieben ist Machiavellis Charakterologie der bürgerlichen Klasse seiner Zeit, wenn er konstatiert, der Mensch vergesse leichter die Ermordung seines Vaters, als daß er den Raub seines Erbteils verzeihe. Während sich Machiavelli in seinem "Principe" aber noch mit der Rettung der italienischen Nation und der dazugehörigen Regierungstechnik begnügte, muß es in der heutigen globalisierten Welt eine Nummer größer sein: So versucht sich die Theorie-Manufaktur Herfried Münkler mit dem Buch Imperien an einer Logik der Weltherrschaft.

Der realistischen Schule folgend, attestiert Münkler der Weltordnung von in der UNO organisierten Einzelstaaten keinerlei Fähigkeit, internationale Stabilität zu garantieren. Es gelte, die Verhältnisse zu betrachten, wie sie seien, und nicht, wie man sie gerne hätte. Deshalb sei eine Imperialmacht unumgänglich, welche die Weltpolitik autoritativ kontrollierte, ökonomisch dominierte und bei Bedarf zugunsten der allgemeinen Sicherheit militärisch intervenierte. Der Handlungsspielraum der Eliten orientiere sich an Politiknotwendigkeiten (bei Machiavelli waren diese als necessità benannt), an der Imperialraison. Ein Gutes hat dieser Ansatz immerhin: er bewahrt vor Personalisierungen wie "amoralische Bush-Cheney-Clique", die gerade in globalisierungskritischen und kirchlichen Gruppen so beliebt sind.

Münkler wählt bei seiner Darstellung des Aufstiegs und Falls eines Imperiums ein zyklisches Zeitmuster, welches die gewünschte Reform- und Überlebensfähigkeit einer Imperialmacht zu fassen und zu theoretisieren vermag. Wie sein italienisches Vorbild illustriert Münkler diese Zyklenentwicklung anhand eines Parforcerittes durch die Geschichte, der beim attischen Seebund beginnt, sich über das chinesische und osmanische Reich bis zu den europäischen Kolonialmächten erstreckt und schlußendlich bei den USA endet. Diese Passagen des Buches sind, gerade was die Kolonialentwicklung des britischen Empire angeht, durchaus lesenswert. In ihnen wird bündig der Übergang vom Liberalismus der Handelswege zum Territorium sichernden Imperialismus des 19. Jahrhunderts dargestellt.

Gänzlich unabhängig davon fungiert dann allerdings das Kernstück der Abhandlung: Lange im oberen Segment des Imperialzyklus verbleibe laut Münkler nämlich jene Macht, welche die augusteische Schwelle überschritten habe. Diese zeichnet sich dadurch aus, daß das ursprüngliche auf militärischer und ökonomischer Macht basierende Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie in einen auf ideologischer und politischer Akzeptanz beruhenden Zustand übergeht. Anders gesagt: Es soll ein Übergang von einem exploitiven in einen zivilisierenden Status bewerkstelligt werden, in dem die Peripherie selbst das Interesse verspürt, Teil des Imperiums zu sein. Dieses sehr harmonisch dünkende Konzept wird aber schon dadurch in Frage gestellt, daß Münkler keinerlei Beispiele zu präsentieren vermag, wo ein solcher Zustand unter den gegenwärtigen kapitalistischen Umständen zustande gekommen wäre. Angeführt werden lediglich das römische und das chinesische Imperium.

Die Überhistorizität ist ein großes Manko des Buches. Obwohl Münkler explizit nach einer Logik der Herrschaft fragt, vermag er nirgends, ein Strukturprinzip der derzeitigen Epoche herauszuschälen, welches eine weiterführende Analyse der weltpolitischen Abläufe jenseits von positivistischer Geschichtsaufzählung möglich macht. Daß er eine Theorie aus der Perspektive der Herrschaft schreibt, rächt sich hier doppelt: Obwohl er mehrfach bemerkt, daß in die Imperialordnung seit jeher Ausbeutung und Unterdrückung eingeschrieben waren (egal ob nun in Form des direkten Raubs oder der postkolonialen Kontrolle von Handelsbeziehungen), wird dies nie begrifflich verdichtet. Die von Münkler gegen die Ökonomie in Anschlag gebrachte Wichtigkeit der Politik erweist sich aber als hohle Phrase, wird sie nicht fest an erstere geknüpft.

Sicherlich läßt sich nicht in jeder heute umkämpften Region die sagenumwobene Öl-Pipeline finden. Trotzdem bleibt bei Münkler nebulös, wozu integrale Aufgaben der Imperialmacht, wie das Sichern von Währungsstabilität und die rechtsförmige Ordnung des Wirtschaftsraumes, dienen sollen, wenn der Ökonomie keine systematische Rolle zugestanden wird.

Herfried Münkler: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft - vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2005, 331 Seiten, 19,90 Euro.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt (iz3w), Nr. 299.

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sopos 5/2007