Zur normalen Fassung

Hindelang und Hindukusch

50 Jahre nach ihrer Gründung ist die Bundeswehr eine Interventionsarmee

von Andrea Kolling

"Na dann siegt mal schön", sagte vor 50 Jahren Bundespräsident Theodor Heuss zu den ersten Bundeswehrsoldaten, die ins Manöver zogen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine Remilitarisierung Deutschlands zwar von den Alliierten und den Gründern der Bundesrepublik ausgeschlossen. Es dauerte aber nicht lange, bis die entsprechenden Gesetzestexte für den Aufbau der Bundeswehr und die NATO-Mitgliedschaft geändert wurden. Der Einsatz der Bundeswehr wurde allerdings nur zu Verteidigungszwecken erlaubt. Adenauer wollte Westdeutschland über die Landesverteidigung in die Blockkonfrontation und eine antikommunistische Ideologie einbinden. Inzwischen ist das wiedervereinigte Deutschland umzingelt von Freunden. Wozu dann noch eine kostspielige Armee?

Die ursprünglichen Auflagen für die Bundeswehr interessieren heute wenig. Bereits die verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 erweiterten das Gefechtsfeld der Bundeswehr erheblich. Darin wird als "vitales Sicherheitsinteresse" die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" proklamiert. Die neuen Richtlinien von 2003 sind nicht ganz so unverblümt. Die Richtung bleibt aber, und zudem ist in Zeiten des Terrors von einem "erweiterten Sicherheitsbegriff" die Rede. Sicherheitspolitik läßt sich nun weder geographisch noch inhaltlich begrenzen. Verteidigungsminister Struck hat mit seinem nicht nur einmal geäußerten Satz deutlich gemacht, wohin die Reise geht: "Deutschland wird am Hindukusch verteidigt". Auch in Hindelang, fügt die CDU hinzu. Sie will die Bundeswehr auch im Inneren einsetzen.

Die Bundeswehr wird daher seit Jahren zielstrebig zur Interventionsarmee umgebaut. Der glücklose Verteidigungsminister Scharping erläuterte, wie das bewerkstelligt wird: Die alte Verteidigungsarmee erhält weiterhin alle Rüstungsprojekte wie beschlossen (z.B. Jäger 90/Eurofighter 2000) und der neue Interventionsteil wird quantitativ und qualitativ mit Mensch und Material auf- und ausgebaut. Das kostet reichlich und ist wie im Falle des Militärtransporters A 400 M manchmal eher eine industriepolitische denn eine militärpolitische Entscheidung. Sparen lassen die Politiker lieber im Sozialbereich.

Die deutsche Öffentlichkeit hat sich daran gewöhnt, daß die Bundeswehr potentiell auf der ganzen Welt agiert. Nach der Wiedervereinigung wurden erste Auslandseinsätze beschlossen, etwa in Kambodscha. Aus heutiger Sicht waren das kleine, harmlose "humanitäre" Einsätze. Mit Hilfe einer nicht zu übersehenden und später auch eingestandenen Salamitaktik, die von Ex-Kanzler Kohl begonnen und von Noch-Kanzler Schröder nahtlos weitergeführt wurde, näherten sich diese Interventionen schleichend ganz normalen Kriegseinsätzen an. "Out of area" hieß das entsprechende Schlagwort Mitte der 1990er Jahre, und das bedeutete "friedenserhaltende", "friedensschaffende", "friedenssichernde", aber auch "friedenserzwingende" Maßnahmen. Heute ist die Rede von "militärischen Interventionen", "Präventivkriegen", "asymmetrischen Kriegen", "Krieg gegen den Terrorismus" oder "Entwaffnungskriegen". Zweckbestimmt soll sie sein, die Sprache der Militärs und Politiker, vor allem aber ist sie verschleiernd, technokratisch und demagogisch.

Was mit ein paar Sanitätern im Ausland begann, fand seinen vorläufigen Höhepunkt in Bomben auf Belgrad. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der NATO 1999 um die Provinz Kosovo mit erstmaliger deutscher direkter Kriegsbeteiligung nach 1945 war eine Zäsur. Begründet wurde er von der rot-grünen Bundesregierung mit dem Argument, eine humanitäre Katastrophe verhindern zu wollen, und mit einem unsäglichen Auschwitzvergleich. Dieses ideologische Waterloo ist in der breiteren Öffentlichkeit längst vergessen. Dabei ist die mittlerweile unter UN-Mandat stehende Provinz Kosovo alles andere als befriedet. Nicht einmal die Waffen schweigen richtig.

Derzeit sind es die Ramboverschnitte des Kommandos Spezialkräfte (KSK), die in öffentlich weitgehend tabuisierten Einsätzen in den Bergen Afghanistans agieren. Öffentlich werden all diese Auslandseinsätze nach wie vor als "Friedenseinsätze" verkauft, von nationalen oder gar wirtschaftlichen Interessen wird nicht gesprochen. Wer ist schon gegen Frieden? Der deutsche Bürger in Uniform hilft doch nur - nicht nur beim Oderdammbruch, sondern auch in aller Welt. Schließlich ist Deutschland ein souveräner Staat, der weltweite Verantwortung übernehmen muß.

Der Einsatz der Bundesmarine in Aceh nach der Tsunami-Katastrophe diente nebenbei der Imagepflege und der Gewöhnung an die Normalität deutscher Soldaten im Ausland. Der weltweite Einsatz der Bundeswehr bedeutet aber nur in selteneren Fällen ein enges "humanitäres" Mandat mit der Zustimmung der jeweiligen nationalen Regierung, wie im Falle von Aceh. Hier wurde die Bundesmarine zurückgeholt, als die indonesische Zentralregierung fand, nun ist genug geholfen. Beim Bundeswehreinsatz 1999 in Osttimor lief es anders. Dort waren die Soldaten zur Unterstützung der anderen UN-Truppen vor Ort und nicht zur medizinischen Versorgung der Zivilbevölkerung.

Noch nie gab es so viele Bundeswehrsoldaten im Ausland wie heute. Zum 50jährigen Bestehen der Bundeswehr warnt Interventionsminister Struck daher vor der wachsenden Gefahr für die Soldaten. Es sei realistisch, daß deutsche Soldaten in Zukunft "durch militärische Auseinandersetzungen" ums Leben kämen. Struck versucht die Deutschen damit moralisch auf mehr Krieg vorzubereiten, auch auf Angriffskrieg im Rahmen der NATO oder der EU. Wer in den UN-Sicherheitsrat will, muß eben mehr Verantwortung tragen - sprich bereit sein, Blutzoll zu zahlen. Ob es Männer oder Frauen sind, die sich in den Dienst dieser Sache stellen, ist dabei egal. Die zahlreichen Auslandseinsätze der Bundeswehr unter verschiedensten Mandaten haben die prinzipielle Kriegsfähigkeit der deutschen Nachkriegsarmee unter Beweis gestellt. Sie können mittlerweile nahezu unwidersprochen durchgesetzt werden - ein Erfolg für die Planer. Darüber hinaus werden militärische Ausstattungs- und Polizeihilfen in vielen Ländern verstärkt und nicht zuletzt der Rüstungsexport.

Na dann siegt mal schön? Fünfzig Jahre später ist aus diesem Ausspruch bitterer Ernst geworden. Gefeiert wird die Bundeswehr dennoch, etwa am 26.10. mit einem großen Zapfenstreich vor dem Reichstag. Es sind Protestkundgebungen geplant (siehe www.friedenskooperative.de).

Andrea Kolling ist Sprecherin der BUKO-Kampagne: Stoppt den Rüstungsexport! und Vorstandsmitglied der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt (iz3w), Nr. 287.

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sopos 10/2005