Zur normalen Fassung

Angst vorm bösen Wolf

Zur Nominierung des neuen Weltbankpräsidenten

Selten hat eine Personalie weltweit so viel Wirbel verursacht wie die Ernennung des US-amerikanischen Vizeverteidigungsministers Paul Wolfowitz zum Präsidenten der Weltbank. In einem Offenen Brief an Bundeskanzler Schröder äußerten auch zahlreiche deutsche NGOs wie Attac, BUND, Greenpeace oder WEED massive Bedenken an der Eignung von Wolfowitz. Unter anderem mit folgendem Argument: "Es ist davon auszugehen, dass die Weltbank unter Wolfowitz verstärkt als Instrument der hoch umstrittenen US-Außenpolitik genutzt (wird)."

Der Protest war vergebens, nicht zuletzt, weil Wolfowitz' Nominierung auf einem Deal der europäischen Regierungen mit den USA beruht: Zum einen wird der Weltbankpräsident traditionell von den USA bestimmt, während die Europäer im Gegenzug den IWF-Direktor stellen. Zum anderen sicherten die USA zu, den Europäer Pascal Lamy als WTO-Generaldirektor zu akzeptieren, wenn diese Wolfowitz mitwählen. Unsere beiden Autoren kommentieren die Ernennung von Wolfowitz und die Debatte darüber aus unterschiedlichen Perspektiven.



Klammheimliche Freude?

von Aram Ziai

In den europäischen Hauptstädten war man not amused: "Die Begeisterungsstürme im alten Europa halten sich in engen Grenzen", beschrieb die deutsche Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul die Reaktion der EU-Staaten auf die Nominierung des Neokonservativen Paul Wolfowitz für den Posten des Weltbankpräsidenten. Nachdem George W. Bush bereits durch die Ernennung des ausgewiesenen UN-Verächters John Bolton als US-Botschafter bei den Vereinten Nationen für Unmut sorgte, scheint er bei der Nominierung des Weltbankpräsidenten ein weiteres Mal eine multilaterale Organisation mit einem konsequenten Verfechter des US-Unilateralismus an die kurze Leine nehmen oder zumindest in der Handlungsfähigkeit behindern zu wollen.

Die Referenzen von Wolfowitz bestehen hauptsächlich darin, dass er als Vize-Verteidigungsminister maßgeblich an der Planung und Durchführung des Irak-Kriegs beteiligt war. Als "Neocon" vertritt er die Überzeugung, die USA müssten überall auf der Welt Demokratie und Kapitalismus (meist wird auf die Differenzierung verzichtet) durchsetzen oder verteidigen. Gemäß der Doktrin vom "Präventivschlag" hatte er schon lange vor dem 11.9.2001 für eine Invasion des Irak plädiert. Irgendwann war Wolfowitz auch einmal US-Botschafter in Indonesien gewesen. (Nachdem US-Verteidigungsminister Robert McNamara nach dem Vietnamkrieg zum Weltbankpräsidenten befördert worden war, spotteten linke KritikerInnen, dass es anscheinend eine wichtige Qualifikation für den Job sei, vorher Peripheriestaaten bombardiert zu haben).

Nach seiner Nominierung reiste Wolfowitz eigens nach Brüssel, um die Sorgen der europäischen Bündnispartner zu zerstreuen. Er ließ verlautbaren, er würde wie sein Vorgänger Wolfensohn mit Vertretern der Zivilgesellschaft (gemeint sind NGOs) in den Dialog treten. Diese haben seit seiner Bestellung nicht aufgehört zu schimpfen. Sie bemängelten Wolfowitz' mangelnde entwicklungspolitische Erfahrung und Glaubwürdigkeit bei der Armutsbekämpfung. Er sei bekannt für die rücksichtslose Durchsetzung geostrategischer Interessen der USA und daher ungeeignet für das Amt des Weltbankpräsidenten. Ganz im Gegensatz, so das unausgesprochene Postskriptum, zu seinem Vorgänger Wolfensohn, dessen Interesse an Armutsbekämpfung und Partizipation der Zivilgesellschaft den meisten aufrichtig erscheint.

Es ist jedoch fraglich, ob sich beim Führungswechsel vom guten Wolf zum bösen Wolf tatsächlich Grundlegendes an der Weltbankpolitik ändern wird. Weiterhin wird Armutsbekämpfung das proklamierte Ziel sein: "Our dream is a world free of poverty". Die Politik der Weltbank wird aber weiter am neoliberalen Credo und damit an Liberalisierung, Deregulierung, Privatisierung und makroökonomischer Stabilität orientiert sein. Möglicherweise wird die Rhetorik fortan etwas weniger charmant und der Dialog mit den NGOs etwas sporadischer und kühler sein. Eventuell wird auch der (ohnehin bereits eingetretene) Roll-back der Bank hin zu Infrastrukturprojekten im Trikont, die meist mit lukrativen Aufträgen für westliche Konzerne verbunden sind, forciert.

Aber sonst? Was versprechen sich die NGOs von ihren Forderungen nach einem Weltbankpräsidenten aus dem Süden? Hat die Amtszeit des thailändischen WTO-Generaldirektors Supachai Panitchpakdi nicht ausgereicht, um zu verdeutlichen, dass die Gesichter an der Spitze der internationalen Wirtschaftsorganisationen für deren Politik eher zweitrangig sind? Die Kräfteverhältnisse im globalen Kapitalismus werden durch solche Personalentscheidungen allenfalls "peripher tangiert", wie es so schön heißt. Gleichermaßen ist zwar die Forderung nach einer Demokratisierung der Weltbank, bei der sich die Stimmrechte bislang nach eingezahlten Kapitalanteilen und damit zugunsten des Nordens bemessen, richtig und legitim. Ihre Umsetzung würde jedoch vermutlich keinen fundamentalen Kurswechsel einleiten. Die Einführung eines internationalen Insolvenzverfahrens für hoch verschuldete Länder wurde beispielsweise nicht nur von den USA, sondern auch von einigen lateinamerikanischen Ländern blockiert - aus Angst vor dem Verlust ihrer Kreditwürdigkeit auf den internationalen Finanzmärkten.

Die Taktik der NGOs, die Weltbank tatsächlich wie eine der Armutsbekämpfung verpflichtete multilaterale Organisation zu behandeln und empört auf die Ernennung knallharter MachtpolitikerInnen zu reagieren, ist zwar durchaus nachvollziehbar. Sie suggeriert jedoch einen weitaus größeren Einfluss von Personen auf diese Kräfteverhältnisse, als es der Realität entspricht. Eigentlich sollten die NGOs Bush dankbar sein: falls Wolfowitz ihren Befürchtungen bezüglich der aggressiven Vertretung von US-Interessen gerecht wird, macht er es den KritikerInnen einfacher, die Weltbank als "Instrument" der reichen Industrienationen und ihrer dominierenden Kapitalfraktionen anzugreifen. Damit würde Wolfowitz der globalisierungskritischen Bewegung neuen Schwung verschaffen. Ebenso würde er es aber auch der EU ermöglichen, sich als sozialere, diplomatischere und auf Multilateralismus setzende Alternative zur "Weltmacht Nr. 1" zu präsentieren. Insofern könnte es sein, dass Old Europe hinter der Trauermiene doch ein wenig klammheimliche Freude über den bösen Wolf empfindet.

Aram Ziai ist Politikwissenschaftler und Mitglied des Arbeitsschwerpunkts Weltwirtschaft der BUKO.



Ein neues altes Feindbild

von Christian Stock

Es gibt in Old Europe eine lange Tradition, die Bestellung ungeliebter US-amerikanischer Persönlichkeiten auf herausgehobene politische Posten mit einem kollektiven Aufschrei der Empörung zu kommentieren. Die Wahl des "Erdnussfarmers" Jimmi Carter, des "B-Movie-Schauspielers" Ronald Reagan oder des "texanischen Tölpels" George W. Bush zum US-Präsidenten war jeweils von herablassender Häme über deren mangelnde Qualifikation und von über die Maßen personalisierender Feindbildkonstruktion begleitet. Wenn nun die internationale NGO-Szene im Verein mit radikalen Antiimperialisten und europäischen MinisterInnen auf Wolfowitz einprügelt, als drohe mit ihm als zukünftigem Weltbankpräsidenten der Niedergang jeglicher entwicklungspolitischer Bestrebungen der Bank, dann sind kritische Nachfragen an die gängigen Ablehnungsgründe angebracht.

So mutet die in NGO-Kreisen geäußerte Kritik seltsam an, Wolfowitz habe anders als der ehemalige Investmentbanker und jetzige Weltbankpräsident Wolfensohn keinerlei Erfahrung im Bankgeschäft. Angesichts der Tatsache, dass die allermeisten Banker beinharte Neoliberale sind, die kaum von ihrem Marktradikalismus abzubringen sind, müsste der Quereinstieg des gelernten Politologen und Mathematikers Wolfowitz doch aus NGO-Sicht eher begrüßens- als verdammenswert sein. Wolfowitz ist keiner, der nur einen Nachtwächterstaat will, in dem der Staat nur die allernötigsten regulierenden Maßnahmen trifft. Als einer der wichtigsten intellektuellen Vordenker der neoconservatives ist er viel- mehr Vertreter einer proaktiven (Außen-)Politik. Insofern steht er für die Stärkung der ‚Politik' gegenüber der ‚Wirtschaft' - wenn auch in vielerlei Hinsicht in einem anderen Sinne als von Attac & Co erhofft.

Gleichermaßen fragwürdig ist der Einwand gegen Wolfowitz, er habe kaum entwicklungspolitisches Profil. Zum einen sollte auch dies aus NGO-Sicht eher ein Vor- als ein Nachteil sein. Betriebsblind gewordene Entwicklungstechnokraten wären wohl kaum ein geeignetes Personal für die von den NGOs geforderte grundlegende Umorientierung der Weltbank. (Erst recht gilt dies für politische Leichtgewichte wie den U2-Sänger Bono, der allen Ernstes als Kandidat für die Weltbankpräsidentschaft im Gespräch war. Von vielen NGOs war dies wohlwollend aufgefasst worden, hatte sich Bono doch in der Schuldenerlass-Kampagne engagiert). Zum anderen ist die Einschätzung, Wolfowitz habe keine Erfahrungen mit Entwicklungspolitik, aber auch nicht ganz zutreffend. Denn obwohl Wolfowitz kein Entwicklungspolitiker im engeren Sinne ist, so hat er sich doch in Bezug auf Entwicklungsstrategien klar positioniert.

Wolfowitz knüpft nämlich in seiner bisherigen Theorie und Praxis unübersehbar an klassischen modernisierungstheoretischen Vorstellungen an. Entgegen der auch in entwicklungspolitischen Kreisen verbreiteten Fehleinschätzung, die ab den 1950er Jahren formulierten Modernisierungstheorien hätten allein auf ökonomische Modernisierung und Wachstum gesetzt, ging es diesen in antikommunistischer Absicht explizit um Demokratisierung als Voraussetzung für Entwicklungsprozesse und Armutsbekämpfung. Viele der wichtigen Modernisierungstheoretiker wie z.B. Seymour Martin Lipset betonten die Notwendigkeit, entwicklungshemmende gesellschaftliche und politische Strukturen in den ‚Entwicklungsländern' aufzubrechen, insbesondere wenn sie diktatorischen oder gar totalitären Charakter hätten. Stattdessen sollte modernisierungstheoretischen Vorstellungen zufolge ein nation building nach dem Vorbild der ‚westlichen' Zivilisation durchgesetzt werden, inklusive des Aufbaus repräsentativ-demokratischer Institutionen und bürgerlich-liberaler politischer Kulturen und Zivilgesellschaften. Für genau diese Zielsetzungen steht auch Wolfowitz, und durch seine Beteiligung beispielsweise am Sturz des philippinischen Diktators Marcos hat er als seinerzeitiger Vizeaußenminister lange vor dem Irakkrieg unter Beweis gestellt, dass er es ernst damit meint.

Für die mit solchen Vorstellungen einhergehende Verklärung des US-amerikanischen Modells von Gesellschaft und Demokratie sowie vieles anderes mehr muss Wolfowitz wie alle Modernisierungstheoretiker (und alle "Neocons") zweifelsohne scharf kritisiert werden. Insbesondere der mehrfach unter Beweis gestellte Wille, seine politischen Ziele unter besonderer Berücksichtigung US-amerikanischer Interessen auch militärisch durchzusetzen, verdient eine entsprechende Würdigung. Man wird Wolfowitz aller Voraussicht nach auch für seine zukünftige Politik als politischen Gegner begreifen müssen; seine jetzigen Absichtserklärungen, der Weltbank "keine US-Agenda aufzwingen" zu wollen, müssen an der Realität gemessen werden. So oder so wäre er als Weltbankchef der führende Protagonist einer wichtigen institutionellen Verdichtung des globalen Kapitalismus.

Die schon vor längerem begonnene Dämonisierung von Wolfowitz durch Etikettierungen wie "ultrakonservativ", "rechter Revolutionär" oder "Hardcore-Krieger" (Attac Hamburg) ist jedoch kaum dazu geeignet, Wolfowitz und dem, wofür er politisch steht, eine fundierte Kritik entgegenzuhalten. Solche Schmähungen verlängern lediglich verbreitete antiamerikanische Ressentiments. Das gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass Wolfowitz jüdischen Glaubens ist und er sich explizit vor dem Hintergrund seiner Sozialisation als Nachkommen eines polnischen Juden, dessen Verwandte in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden, positioniert. So sagt er von sich selbst: "Das, was in Europa im Zweiten Weltkrieg geschah, hat meine Ansichten über Politik und Außenpolitik im Allgemeinen beträchtlich geprägt".

Die daraus resultierende proisraelische Haltung von Wolfowitz kann in ihrer konkreten Ausprägung (Unterstützung der Sharon-Regierung) durchaus kritisiert werden. Der in zahlreichen Internetforen und Zeitungen immer lauter werdenden Hetzpropaganda gegen den "zionistischen Scharfmacher" (junge Welt) gilt es jedoch entschieden entgegen zu treten. Umso mehr, als in Old Europe das Ressentiment gegen die "jüdische Hochfinanz" noch traditionsreicher ist als das gegen US-Politiker.

Christian Stock ist Mitarbeiter im iz3w.

Beite Beiträge erschienen zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt (iz3w), Nr. 285.

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https://sopos.org/aufsaetze/42a7f6591d144/1.phtml

sopos 6/2005