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Im Reformstau zum Wandel

Der Machtwechsel in Mexiko hat die Politik nicht verändert, wohl aber die Gesellschaft

von Guillermo Quintero und Siddharta Camargo

Fox' Versagen angesichts der eigenen Ziele ist offensichtlich. Aber auch politische und ökonomische Zwänge des internationalen Umfelds werden erkennbar.

Der Machtwechsel im Jahre 2000, als der jetzige Präsident Vicente Fox und seine Partei der Nationalen Aktion (PAN) die seit siebzig Jahren regierende Revolutionäre Institutionelle Partei (PRI) ablösten, war ein radikaler Bruch in der Selbstwahrnehmung der Mexikaner. Daß die PRI, die sich in allen Verästelungen des Staates festgesetzt hatte, jemals von der Macht ablassen sollte, ohne eine nordamerikanische Invasion, ohne Bürgerkrieg, ohne massive Wirtschaftskrise oder zumindest nicht ohne das Land gründlich zu destabilisieren, war für die meisten bloß ein Traum gewesen.

Oberflächlich betrachtet war der Wahlsieg der PAN ein Ausdruck des Protestes, mit der die Wähler die PRI abstrafen wollten. Unabhängig von den politischen Inhalten, für welche die PAN stand: die wirkliche Sensation war, daß überhaupt ein verfassungsmäßiger Regierungswechsel stattfinden konnte. Die demokratische Öffnung des Regimes war die Frucht schmerzvoller sozialer Kämpfe seit Ende der 60er Jahre, an denen Studenten, Bürgerbewegungen, Stadtguerilla und natürlich seit 1994 die Zapatisten beteiligt waren. Das Massaker an Studenten vom 2. Oktober 1968 gilt als das Ereignis, mit dem das langsame Abschmelzen der Vorherrschaft der PRI begann. Der Regierungswechsel von 2000 war dann die Bestätigung, daß die mexikanische Gesellschaft gereift war und die Bevölkerung versuchen kann, über sich selbst zu entscheiden. Er war ein Triumph der sozialen Kämpfe gegen die mächtige PRI, die Hunderte von Toten, Verschwundenen und Gefolterten gefordert hatten.

Der Kater, der auf die Aufbruchstimmung folgte, ließ allerdings nicht lange auf sich warten. Die "Regierung des Wandels" von Vicente Fox zeigte bald, daß sie an ihrem Image arbeitete und nicht an wirklichen Veränderungen. Die Folterer des alten Regimes gingen straffrei aus und die Wahlversprechen waren schnell vergessen. Der Misere begegnet Fox rhetorisch, wobei er das Offensichtliche nicht übertünchen kann: In diesem Jahr erreichen eine Million Mexikaner das arbeitsfähige Alter, Fox jedoch konnte nicht nur keine Arbeitsplätze schaffen, er konnte auch nicht verhindern, daß in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit 800.000 Menschen ihre Beschäftigung verloren.

Um zu erkennen, daß der von Vicente Fox proklamierte Wandel eine hohle Phrase ist und die PAN weder strukturell in der Lage noch Willens ist, einen solchen einzuleiten, hilft ein Blick in die Geschichte dieser Partei, die sehr eng mit der Entwicklung und sogar der politischen Linie der PRI verbunden ist.

Von der Sekte zur Partei

Seit 1946 war die PAN ein treuer Vertreter der Politik des Vatikans gewesen. In den 70ern verband sie traditionelle katholische Werte mit liberal-demokratischen Inhalten und proklamierte mehr politische Partizipation für breite Schichten. Ihre Basis setzte sich auch aus den "einfachen Leuten" zusammen und spiegelte die Diversität der Regionen Mexikos wider. Politisch vertrat sie staatsbürgerliche Prinzipien und hielt die Fahne des Föderalismus gegen den Zentralismus der PRI hoch. Ideologisch stand sie allerdings für den traditionellen Nationalismus, der ihr von den spanischen Eroberern eingeimpft worden war. Diese Wurzeln der PAN erklären ihre traditionell positive Haltung zur "Hispanidad" und dem spanischen Klerikalfaschisten Franco, sowie ihren aktuellen Rassismus und Anti-Indigenismus, der sich vor allem gegen die organisierten Indigenas und die EZLN richtet. In den PAN-Gründungsdokumenten ist diese Ausrichtung so definiert: "Die Entwicklung Mexikos, seine wahre Unabhängigkeit [...] hängen von der eifrigen Konservierung der einzigartigen Persönlichkeit ab, über die unsere Nation als iberoamerikanisches Volk verfügt. Sie ist Produkt der rassischen Einheit und in ihrer Essenz Teil der großen Geschichte und Kultur der hispanischen Nationen."

Für die Mittelklasse, für einen Teil der Facharbeiter und natürlich für die aktiven Katholiken war die PAN ein Garant für eine zumindest teilweise Partizipation. Die Katholiken waren in dem tiefreligiösen Land zwar faktisch von jeder bedeutenden politischen Teilhabe ausgeschlossen. Sie wurden aber im Gegensatz zur Arbeiter-, Bauern- und Studentenbewegung und zur mexikanischen KP nicht verfolgt und illegalisiert, sondern die PRI tolerierte ihre politische Organisation. Die Opposition der PAN zur PRI war deshalb auch nicht kohärent und nicht umfassend. Vielmehr fühlten sich einige PANisten dazu verpflichtet, der PRI, die sich schon in den 40ern des lästigen Beinamens "sozialistisch" entledigt hatte, den Rücken zu stärken.

Die Gegnerschaft zur sozialistischen Erziehung und zur Koedukation, die von Präsident Cardenas eingeführt worden waren, und zur Solidarität mit dem republikanischen Lager im spanischen Bürgerkrieg Ende der 30er Jahre, sorgte für partielle Einigkeit zwischen PAN und PRI. Damals prägten rechte Intellektuelle den Begriff der loyalen Opposition, was soviel hieß wie "opportunistische Opposition" oder "Opposition, aber nicht zu viel".

Erst als die PRI 1982 die Verstaatlichung der Banken dekretierte, riß die Bande der Koexistenz. Ein wichtiger Sektor des mexikanischen Geldkapitals sah angesichts der bevorstehenden Enteignung vitale Interessen gefährdet und erklärte dem autoritären Regime und seiner Partei PRI den Krieg. Die PAN, bis dahin eine kleine Partei mit sektiererischen Gepflogenheiten, ein Aushängeschild des Mittelstandes und der katholischen Ultrarechten, nahm Tausende neuer Mitglieder auf. Die Partei wuchs derart an, daß die Dogmatiker ihr Forum verloren. Die traditionelle PAN starb 1982 und eine neue PAN, die 18 Jahre später die Präsidentschaftswahlen gewinnen sollte, begann ihre ersten Atemzüge.

Neues Spiel, neues Glück

Von Beginn seiner Regierungszeit an schöpfte Fox seine Legitimität aus der vermeintlichen Distanz zum Regime der PRI. Der erste Schritt, um die Öffentlichkeit von bevorstehenden Veränderungen zu überzeugen, war die Einrichtung einer Transitionskommission zur Reform des Staates. 130 Spezialisten mit "unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung" wurden eingeladen, um die brennenden Themen zu behandeln: Menschenrechte, Wirtschaft, politische Repräsentation, öffentliche Gewalt und Globalisierung. Zuerst schien es, daß diese Spezialisten mit grundlegenden Veränderungen, zum Beispiel mit einer Verfassungsreform, beginnen würden. Allmählich aber wurde deutlich, wer die eigentlichen Architekten des Regierungsprogramms von Fox sein sollten: Funktionäre der USA und der Weltbank. Also blieb nicht nur die erhoffte Aufklärung der Verbrechen der PRI aus, auch die von ihr unter Salinas begonnene neoliberale Politik wurde fortgesetzt. Der Machtblock, der multinationalen und mexikanischen Konzernen das Terrain bereitet, wird von Fox weiter zusammengehalten. Im Spanischen gibt es dafür die Bezeichnung "continuismo", es bleibt alles beim Alten.

Fox' Versagen angesichts der eigenen Ziele ist offensichtlich, das zeigen die folgenden Beispiele. Aber auch politische und ökonomische Zwänge des internationalen Umfelds werden in einigen Fällen erkennbar.

Fly away

Einer der größten Fehlschläge der Regierung Vicente Fox war der Versuch, einen neuen Flughafen in Mexiko-Stadt zu bauen. Der bislang einzige Airport, der Terminal Benito Juárez, ist völlig überlastet. Der Bau eines neuen Flughafens wäre ein exzellentes Geschäft, zwei Unternehmensgruppen sind seit der Wahlkampagne 2000 an der Realisierung interessiert. Beim Regierungsantritt von Fox legte das Verkehrsministerium den Bauplatz fest. Vergangenen Oktober erließ die Regierung ein Dekret zur Enteignung des Gemeindebesitzes der örtlichen Kommunen (ejidos). Den betroffenen Bauern wollte man sieben Pesos pro Quadratmeter bezahlen (rund 70 Cent). Die Landpächter (ejidatarios) aus Atenco, eine der betroffenen Gemeinden, reagierten ablehnend. Fox erklärte, daß der Preis für die Bauern der "reine Lotteriegewinn" wäre. Was er verschwieg: Die Erben des Anwalts von Ramos Millán, eines PAN-Mitgliedes, sollten für eine ähnliche Enteignung 4000 Pesos pro Quadratmeter erhalten (rund 400 Euro). Doch den Bauern der Mestizen-Gemeinde ging es nicht nur ums Geld, für sie ist die Erde keine Ware. Der Gemeinbesitz, auf den sie sich juristisch beziehen, geht auf die Revolution von 1910 zurück. Die Revolutionäre hatten zum Schutz der Bauern vor der kapitalistischen Entwicklung in die Verfassung geschrieben, daß er unverkäuflich und an die Erben weiterzugeben sei. Schon 1992 hatte die Salinas-Regierung diesen Paragraphen reformiert. Mexikaner und Ausländer konnten fortan Land erwerben. Das Land in Atenco, auf dem der Flughafen gebaut werden sollte, ist ein solcher Gemeinbesitz.

Und die Bauern aus Atenco verteidigten ihn. Nicht nur auf juristischem Weg, sondern auch durch Mobilisierung des Protests der Straße. Bei ihrem Marsch durch die Hauptstadt trugen sie rote Halstücher und Macheten und lenkten so die Aufmerksamkeit der Massenmedien auf sich. Ihr Diskurs und ihre Praxis waren auch sonst voller Bezüge zur zapatistischen Bewegung: Die Gemeinschaften diskutierten und beschlossen einstimmig in Versammlungen, sie hatten keine Führer, sondern Sprecher. Ihre Verbündeten waren Studenten von staatlich nicht finanzierten Universitäten und praktisch dieselben Akteure, die in den Städten das EZLN massiv unterstützen.

Die am Flughafen interessierten Unternehmen mußten plötzlich einen Standortwechsel befürchteten. Die Polizei des Bundesstaates Mexiko, offensichtlich von PRI-Gouverneur Arturo Montiel aufgeboten, griff einen friedlichen Marsch mit aller Härte an. Nach jenem Ereignis beschlossen die Bauern ihre Verteidigung und demonstrierten mit ihren Macheten. Der Konflikt eskalierte: Die Regierung erhöhte den Druck und verhaftete die Sprecher der Gemeinde- und Pachtgremien. Die Bevölkerung Atencos (sowie ihre zahlreichen Unterstützer) beschloß daraufhin in einer Versammlung, mit denselben Mitteln zu antworten, nahm Polizisten und Beamte als Geiseln und verlangte, ihre Sprecher frei zu lassen. Die Staatsmacht umstellte daraufhin das Dorf, das sich jedoch weiter erfolgreich zur Wehr setzte.

Nur ein kleiner Fernsehkanal regionaler Reichweite, CNI canal 40, übertrug ungekürzt alle Vorgänge im Dorf. Dies ist deshalb bedeutend, weil die Kamerapräsenz des kleinen Kanals im Ansatz jedweden Versuch der großen, offiziellen Anstalten verhinderte, verzerrt über die Ereignisse zu berichten. CNI canal 40 zahlte sogar ein Fixum für freien Zutritt und unzensierte Bilder. Und die Landarbeiter Atencos erhielten breite Unterstützung aus den unterschiedlichsten Sektoren der Gesellschaft. Die staatliche Autorität zeigte plötzlich Verhandlungsbereitschaft: Der Regierungsekretär des Bundesstaates führte an, daß die Bundesregierung verhandeln und "keine Gewalt anwenden" würde. Ebenso würden mehr als die vorgesehenen sieben Pesos bezahlt und, wo nötig, Ersatzanbauflächen angeboten werden. Man lud die Bauern zudem ein, "Teilhaber am Geschäft" zu werden.

Aber selbst das war nicht durchsetzbar. Der den Bauern zugesicherte vorläufige Baustopp wurde schließlich mit einem Dekret gefestigt, das die Pläne zu Landenteignung und Flughafenbau annullierte. Die Bauern des Ortes machen weiter; sie halten ihre Organisation aufrecht und solidarisieren sich mit vielen anderen Basisbewegungen. Kürzlich haben sie eine neue Bewegung ins Leben gerufen, um auf institutionellem Weg die Regierung ihres Dorfes zu stellen.

Die Kanalarbeiter

Ein weiteres umstrittenes Großprojekt ist der Puebla-Panama-Kanal, ein Teil des geostrategischen Plans, der hinter den Abkommen NAFTA und ALCA steht. Der geplante Kanal würde Mexiko in Industriekorridore einbinden: in den nördlichen, der vollständiger Teil des NAFTA-Vertragsgebiets ist und von Kanada über die Ostküste der USA bis Zentralmexiko reicht, wo bereits der Großteil transnationaler Unternehmen wie Nestlé oder Kelloggs angesiedelt sind, und in den zentralen, der Tehuantépec per Straße und Eisenbahn über die Häfen Coatzacoalcos am Golf von Mexiko und Salina Cruz am Pazifik anzubinden versuchen wird. Diese Achse ist für die USA wegen des Verlusts der Kontrolle über den unrentabel gewordenen Panamakanal von vitaler Bedeutung.

Beabsichtigt ist, von Puebla aus den Süden bis Panama zu vereinen, indem ineffiziente "maquiladoras" entlang der US-mexikanischen Grenze dorthin verlegt werden. Denn die mexikanischen Arbeiter zogen die Emigration in die Vereinigten Staaten den miserablen Arbeitsbedingungen des Grenzgebietes vor. In Südmexiko und Zentralamerika aber würden dem Plan zufolge transnationale Konzerne ausreichend billige Arbeitskräfte finden, um mit der Konkurrenz in Südostasien Schritt zu halten.

Der Plan Puebla-Panamá bedeutet aber auch die Einmischung in politisch-soziale Konflikte Mexikos und deren Regionalisierung. Einerseits geschieht dies durch (Teil-) Privatisierung der Luft- und Hafen-Terminals sowie der Sektoren Energie, Wasser, Gas und Erdöl. Andererseits manifestiert sich dieser Einfluß bei der Schaffung des multinationalen Biologischen Korridors Mesoamerika. Finanziert durch die Weltbank, verschafft das Projekt Unternehmen wie Pulsar, Monsanto, Novartis, Bayer, Diversa, Shell oder Texaco Zugang zu unzähligen Naturressourcen. Durch Patentierung der von ihnen "entdeckten" Genome wollen die Unternehmen die Produktion und Vermarktung von Nahrungsmitteln und medizinischen Präparaten zu Lasten einheimischer Produzenten monopolisieren. Der Plan beansprucht sogar das über Jahrhunderte tradierte Wissen indigener Gemeinschaften. Seine Umsetzung trifft bereits auf deren Widerstand. Für die nächsten Monate sind Auseinandersetzungen absehbar, denn Bundes- und Staatsregierung beabsichtigen, in der Region Montes Azules Vertreibungen durchzuführen.

Der Konflikt um den Puebla-Panamá-Plan ist eng mit mit der zapatistischen Bewegung und den indigenen Autonomiebestrebungen in Chiapas verbunden. Denn in den indigenen Territorien, hauptsächlich in den Regenwäldern Südostmexikos, stellen Rohstoffe wie Erdöl, Uran, Erze und Wasser sowie die genetische Patentierung neu entdeckter Tiere und Pflanzen die Haupthindernisse dafür dar, daß die Regierung eine legale indigene Autonomie akzeptiert und die Strategie des "low- intensity-Krieges" einstellt, der seit dem Ende offener Kampfhandlungen im Jahr 1994 andauert.

Rote Brennpunkte

Allein im Jahr 2002 wurden nach Angaben von Enlace Civil, einer in den Indigenengemeinden engagierten Menschenrechtorganisation, rund zwölf Vorsteher autonomer zapatistischer Gemeinschaften von mutmaßlichen Paramilitärs ermordet. Die Regierung Fox unterstützt oder toleriert die zu PRI-Zeiten geschaffenen Paramilitärs nach wie vor und realisiert so genannte "Sozialprogramme gegen Armut", die der Aufstandsbekämpfung in Konfliktzonen dienen. Um die linken Guerilla-Gruppen Mexikos zu überwachen, hat man hingegen laut einem im vergangenen September verfaßten Bericht des Zentrums für nationale Information und Sicherheit (CISEN) Spezialeinheiten eingerichtet, an denen unter Leitung von Verteidigungs- und Innenministerium Angehörige verschiedener Institutionen beteiligt sind. Die Generalstaatsanwaltschaft (PGR), das CISEN, Bundespolizei, Heer und Marine setzen dabei in 19 Bundesstaaten des Landes technische Methoden und eingeschleuste Informanten in 16 so genannten "roten Brennpunkten" ein.

Während seiner Präsidentschaftskandidatur hatte Fox noch versprochen, den Konflikt in Chiapas in fünfzehn Minuten zu lösen. Das EZLN stellte für die Rückkehr an den Verhandlungstisch damals mehrere Forderungen. Von den "Gesten", die die Zapatisten verlangten, erfüllte er am Tag seines Regierungsantrittes kaum eine - sie gingen über ein nutzlo-ses Medienspektakel nicht hinaus. Am 14. März 2001 marschierten die Zapatisten daher in die Hauptstadt, verstärkt durch den Indigenen Nationalkongreß sowie Sympathisanten aus dem ganzen Land und verschiedenen Teilen der Welt. Auf der Suche nach Fortschritten bei der politischen Lösung sprachen sie auf der Tribüne des Kongreß und blieben dort in Erwartung der Verabschiedung des "Gesetzes über indigene Rechte und Kultur", auch bekannt unter dem Namen "Abkommen von San Andrés". Es war zuvor mit der Regierung zwar vereinbart worden, seine Ratifizierung aber wurde hinausgezögert, um nicht als geltendes Recht angewandt zu werden.

Nachdem der Unternehmerverband in einer landesweit erscheinenden Zeitung damit drohte, daß im Falle einer Umsetzung des Abkommens von San Andrés der Plan Puebla-Panamá nicht gangbar sein wird, gab es mit dem Präsidenten hinter verschlossenen Türen ein Treffen. PRI, PAN und die PRD setzten eine abgeänderte Gesetzesreform durch, die allein ihren Interessen Rechnung trug und im Gegensatz zu den mit dem EZLN vereinbarten Abkommen von San Andrés stand.

Nicht nur diese Beispiele zeigen, daß der Regierungswechsel zu keinen wirklichen Veränderungen geführt hat. Daß sich aber die mexikanische Gesellschaft gewandelt hat, zeigt ein weiteres Beispiel: Im Dezember 2002 bemächtigte sich ein bewaffnetes Kommando gewaltsam der Einrichtungen von Canal 40, dem einzigen unabhängigen TV-Sender Mexikos. Es handelte auf Befehl des Kommerzsenders Televisión Azteca. Die Rechtfertigung: Die Gesellschafter des kleinen Senders würden ihm mehrere Millionen Dollar schulden. Trotz der Verletzung mehrerer Gesetze bei diesem Vorfall erklärte die Regierung, daß sie wegen der angebrochenen Ferienzeit bis nach Weihnachten nichts zu unternehmen gedenke. In diesem Punkt also hielt die Regierung Wort: Es geschah wirklich nichts.

Und mich, was schertīs mich?

Journalisten jeglicher politischen Ausrichtung und viele Basisbewegungen (wie die Zapatisten und die Bauern von Atenco) solidarisierten sich mit den Angestellten von Canal 40 und insbesondere mit Reportern des Abendmagazins der Zehn-Uhr-Nachrichten. Die Borniertheit der Regierung legte sogar für stramm konservative Parlamentarier des PAN die unerträgliche Komplizenschaft zu Televisión Azteca bloß. Auf einer Pressekonferenz stellten Reporter den Präsidenten mit der Bemerkung zur Rede, er wäre ja endlich aus seinen langen Ferien zurück gekehrt. Fox antwortete nur "Und - was schertīs mich?"

Schließlich bewirkte der enorme öffentliche Druck doch noch die Rückgabe des Senders - ein weiteres Zeichen dafür, wie sehr sich die mexikanische Gesellschaft verändert hat. Auf der anderen Seite greift die "Regierung des Wandels" weiter auf vermeintlich altbewährte Methoden vormaliger PRI-Regierungen zurück: Repression, Gewalt und Einschüchterung von Protest. Die "gobierno del cambio" versucht mit unverhältnismäßigem Werbeaufwand in Radio- und Fernseh-Spots ein Bild des Landes zu vermitteln, das mit der Realität nichts zu tun hat. Die Diskrepanz zwischen der Regierungspolitik und den Entwicklungen in der Gesellschaft hat dazu geführt, daß viele Mexikaner enttäuscht und resigniert sind. Eine Gewißheit, die ihnen niemand nehmen kann, haben die Erfahrungen der letzten Jahre aber gebracht: Die Dinge können sich ändern. Regierungen, die ihre Versprechen nicht einhalten, die lügen, betrügen, manipulieren und unterdrücken, können Vergangenheit und ihre Präsidenten zu Statuen auf gepflegten Plätzen verwandelt werden.

Guillermo Quintero ist in diversen sozialen Bewegungen in Lateinamerika und Spanien aktiv, er lebt in Madrid.
Siddharta Camargo ist Historiker und Schriftsteller, er lebt und arbeitet in Mexiko.
Übersetzung: Simón Ramirez-Voltaire und Marcus Späth
Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 272 der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt.

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sopos 11/2003