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Institutionalisierte Sorgenfalten

Weltkonferenzen und die Widersprüche globaler Herrschaft

von Christoph Görg


Weltkonferenzen sind in einer grundsätzlichen Ambivalenz gefangen. Zum einen sind sie Ausdruck gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, die die Mächtigen zur Reaktion gezwungen haben.

Der vorläufige Höhepunkt des Marathons naht. Nachdem im Anschluss an die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro von 1992 die Weltkonferenzen in kurzen Zeitabständen aufeinander folgten, kommt nun die groß angekündigte Bilanz. Doch schon lange hat sich der »Geist von Rio« als höchst flatterhaftes Wesen offenbart. Was am Anfang der 90er Jahre noch als Anbruch einer »Neuen Weltordnung« mit vielen Hoffnungen versehen wurde, befindet sich schon länger in einer Sackgasse. Spätestens seit den Konflikten um die Welthandelsorganisation WTO in Seattle 1999 ist die neoliberale Globalisierung als Weltunordnung kenntlich geworden.

Inzwischen scheinen die Anstrengungen zur Etablierung einer multilateralen internationalen Ordnung, die globale Weltprobleme angeht und dabei den Interessen der divergierenden Staaten Rechnung trägt, vollends auf bloße Lippenbekenntnisse reduziert zu sein. Seit dem 11. September pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass beim mächtigsten Land der Welt der Unilateralismus wieder die Oberhand gewonnen hat: »America first«. Doch das ist nicht unbedingt der Kern des Problems, sondern Ausdruck tiefer gehender Widersprüche.

Der Multilateralismus der Weltkonferenzen war nämlich von Beginn an mit einem Webfehler behaftet. Die internationale Zusammenarbeit zur Lösung globaler Probleme konnte und wollte die gesellschaftlichen Verhältnisse, die diese Probleme hervorbringen, nicht wirklich verändern. Nicht die Beseitigung der Ursachen, sondern das Management der Folgeprobleme kapitalistischer Globalisierung stand auf dem Programm. Trotzdem wäre es falsch, die Konferenzen als Verschleierungsversuche beiseite zu schieben. Denn sie können zwei wichtige Einsichten vermitteln. Erstens, dass der globale Kapitalismus zu seiner Stabilisierung politischer Kooperation bedarf und sich diese in Ansätzen auch entwickelt hat. Da sich aber in dieser Kooperation die globalen Machtverhältnisse reproduzieren und verdichten, hat sich zweitens eine neue Form globaler Herrschaft etabliert, die man mit Joachim Hirsch als »Internationalisierung des Staates« bezeichnen kann.

Internationale Kooperation hat sich aus mindestens zwei Gründen entwickelt. Zum einen artikulieren sich hier funktionale Probleme kapitalistischer Vergesellschaftung. Entgegen den Erwartungen der Marktfundamentalisten wie auch manchen Annahmen der marxistischen Orthodoxie bedarf der Kapitalismus stabilisierender Institutionen, damit er sich angesichts seiner ihm innewohnenden Widersprüche reproduzieren kann. Und diese Institutionen sind vermehrt auf internationaler Ebene angesiedelt. Zum anderen ist aber die so entstandene internationale Regulation nicht einfach auf funktionale Zwänge der Kapitalreproduktion zurückzuführen. Sie ist Ausdruck gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, ökonomischer Strategien, politischer Macht- und Herrschaftsverhältnisse und der Fähigkeit gesellschaftlicher Akteure, diese hegemonial zu stabilisieren oder sie gegenhegemonial zu bekämpfen. Gerade eine globale Hegemonie enthält immer auch diskursive Strategien, mit denen Zustimmung organisiert wird, und sie beinhaltet die Notwendigkeit, gegensätzliche Interessen bis zu einem gewissen Grad in Kompromissen zu berücksichtigen.

Zum anderen verändern sich aber die politischen Artikulationsformen sozialer Bewegungen, wenn sie sich auf diese Konferenzen hin organisieren.

Beide Punkte sind zum Verständnis der Weltkonferenzen zentral. Diese sind nicht allein danach zu beurteilen, inwieweit sie einen Beitrag zur Bewältigung globaler Probleme erbringen. Ihre Erträge in sozialer oder ökologischer Hinsicht sind bescheiden - was im Kern auch von niemandem bestritten wird. Vielmehr artikulieren sich in diesen Konferenzen globale Konflikte und Machtverhältnisse. Weltkonferenzen sind also in einer grundsätzlichen Ambivalenz gefangen. Zum einen sind sie Ausdruck gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, die die Mächtigen zur Reaktion gezwungen haben. Wenn Geschlechterpolitik oder ökologische Probleme auf die Tagesordnung gesetzt werden, dann geht dies auch auf den Protest sozialer Akteure zurück. Zumindest müssen die Herrschenden befürchten, dass eine Nichtbeachtung den Widerstand anheizen würde.

Zum anderen verändern sich aber die politischen Artikulationsformen sozialer Bewegungen, wenn sie sich auf diese Konferenzen hin organisieren. Schon früh wurde auf die Tendenz zur »NGOisierung der Frauenbewegung« (Christa Wichterich) hingewiesen. Kritische NGOs denken schon länger darüber nach, wie sie die Irrelevanzfalle und den »participation overkill« überwinden können, in die sie mit der Beteiligung an solchen Konferenzen und dem internationalen Regulierungssystem überhaupt erst geraten. Während Mitte der 90er Jahre ein Schwenk von den zwar relativ offenen aber machtlosen Institutionen (etwa im Umfeld des UN-Umweltprogramms) zu den machtpolitisch relevanten wie WTO oder Weltbank erfolgte, kam es daher nach Seattle zur Rückbesinnung auf die sozialen Bewegungen.

All dies lenkt den Blick auf die Politikform der Weltkonferenzen. Sie setzt bei der demonstrativen Betonung von Verantwortlichkeit an - quasi als institutionalisierte Sorgenfalten unseres Noch-Außenministers - und reicht bis zur Ausbildung einer globalen Manager-Elite, die sich für die Bearbeitung der Weltprobleme zuständig erklärt. Die Situation vor der Rio+10-Konferenz von Johannesburg ist darüber hinaus aber auch von einer erheblichen Zuspitzung der Widersprüche globaler Herrschaft gekennzeichnet. Während im Vorfeld von Rio die Führungsmacht USA wenigstens in einigen Punkten kompromissbereit erschien - auch wenn sie Abkommen wie der Biodiversitätskonvention nur beitrat, um sie in ihrem und im Sinne der Biotechindustrie zu beeinflussen -, ist sie heute strukturell kompromissunfähig. Aus innenpolitischen Gründen, aber auch weil die nationale Wachstumskonstellation der USA vom Rest der Welt lebt, sind Zugeständnisse heute nicht zu erwarten. Statt um Bearbeitung der Weltprobleme geht es immer stärker um militärische Absicherung gegen ihre Folgen.

Damit steht die Johannesburgkonferenz unter keinem guten Vorzeichen. Wirklich neue Ideen sind im Vorfeld nicht zu verzeichnen gewesen. Angesichts der Erkenntnis, dass alle Versuche zur Umsetzung nachhaltiger Entwicklung weitgehend an der Realität neoliberaler Globalisierung gescheitert sind, ist zu befürchten, dass nun der Bock erst Recht zum Gärtner erklärt wird. Es zeichnet sich ab, dass unter dem Label der »nachhaltigen Globalisierung« ausgerechnet jenen Institutionen, die diese neoliberale Strategie vorangetrieben haben, eine zentrale Rolle zugebilligt wird. Das wäre noch weniger als nichts. So bleibt die traurige Erkenntnis, dass die Aussicht auf die globalen Krisenerscheinungen ohne Gipfel weniger verstellt wäre.


Christoph Görg ist mit Ulrich Brand Herausgeber des Sammelbandes: Mythen globalen Umweltmanagements, Rio+10 und die Sackgassen »nachhaltiger Entwicklung«, Münster 2002.
Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 262 der iz3w – blätter des informationszentrums 3. welt.


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