Zur normalen Fassung

Repressive Toleranz

Läßt der IWF seine Gegner bei der Reformierung der Finanzwelt mitreden?

von Gerhard Hanloser

"Die jungen Leute stellen die richtigen Fragen" verkündete der Weltbank-Präsident Wolfensohn, als in Prag eine bunte Melange von Demonstranten und jugendlichen Militanten gegen das Treffen des Internationalen Währungsfonds protestierte. Ein überraschendes Statement von jemandem, der einem Verein vorsteht, dem nicht gerade nachgesagt werden kann, sich im Laufe seiner Geschichte besonders um die Meinung von Protestbewegungen gekümmert zu haben. Zu erklären ist Wolfensohns Offerte für konstruktive Kritik an IWF und Weltbank vor dem Hintergrund von zwei Entwicklungen, die sich in den letzten Jahren schrittweise anzunähern scheinen: die zunehmende Ratlosigkeit auf Seiten der Herren über Währungen, Kredite und Geldflüsse auf der einen, und die wachsende Bereitschaft der Protestbewegung, an einer Reform des Weltfinanzwesens mitzutun.

Dem IWF hat die Asienkrise 1997 deutlich vor Augen geführt, daß die Liberalisierung des Kapitalverkehrs in immer schwerer zu meisternde monetäre Krisen mündet. Zwar überwiegen noch die stereotypen Erklärungsmechanismen für die Krise: Korruption und Bürokratie werden als Ursachen ausgemacht und auf weitere Öffnung der jeweiligen Länder im Rahmen von Welthandelsorganisation (WTO) oder Multilateral Agreement on Investment (MAI) gedrängt. Doch die "neoliberale" Doktrin wankt. Zentrum-Peripherie-Abhängigkeiten sind auch vom IWF und anderen Institutionen der Weltwirtschaft nicht länger zu ignorieren, die blinde Ankoppelung der jeweiligen Währungen an den Dollar wird als "neuer finanzieller Imperialismus" (Christian Marazzi) kritisiert. Der Ökonom Paul Krugman schilderte in der New York Times vom 22.11.2000 ratlos, wie die mustergültige Währungspolitik in Argentinien - die Koppelung an den Dollar - in eine depressive Entwicklung und gefährliche Abwärtsfahrt des Landes geführt habe. Demgegenüber hebt er hervor, daß Malaysia die Asienkrise am besten überwunden habe. Malaysia hat sich als einziges asiatisches Land gegen die vom IWF verordnete Politik gestellt: Die Kredit-Hilfe wurde abgewiesen und 1998 eine Kapitalausfuhrbeschränkung eingeführt. Damals schlugen Experten die Hände über dem Kopf zusammen und Malaysia wurde beinahe in den Rang eines "Schurkenstaates" erhoben. Dennoch konnten die Länder Asiens, die etwa in Form von Zinssenkungen und einer defizitären Politik der Staatsausgaben auf dirigistische staatliche Eingriffe setzten und damit entschieden gegen die neoliberale IWF-Doktrin verstießen, die Krise am besten meistern.

Den eher libertär gestimmten Militanten von Seattle, Prag und Nizza, die an einem neuen globalen Antikapitalismus interessiert sind, wird in Gestalt von NGOs eine Kraft gegenüberstehen, die aufgrund der unwägbaren Krisentendenz des kapitalistischen Weltsystems als Arzt an dessen Krankenbett auftritt.

Zur gleichen Zeit erhebt sich gegen die weltweit vorherrschende Ideologie der Liberalisierung der Märkte von Seattle über Prag bis nach Davos eine Gegenbewegung, die zwar unterschiedlichste Spektren, Absichten und Intentionen umfaßt, in ihren Protesten gegen die Institutionen der weltweiten Globalisierung jedoch einen gemeinsamen Gegner hat. Dabei steuern insbesondere die philanthropischen bis neo-kathedersozialistischen Versuche, gegen den angeblichen Bedeutungsverlust des Nationalstaates wieder die regulierende Hand des Staates einzuklagen, auf autoritäre Krisenlösungsmechanismen zu - und treffen sich dabei mit den genannten. Die autoritär-keynesianische Politik in Malaysia, für die sich auch Krugman erwärmen kann, stellt dazu eine Möglichkeit dar, die Besteuerung der Finanzmärkte, die vom ATTAC-Netzwerk zur demokratischen Kontrolle gefordert wird und von den sich kritisch verstehenden Konzepten einer globalen Strukturpolitik flankiert wird, eine andere. Annäherungen sind unübersehbar: So meinte ein niederländischer ATTAC-Vertreter, daß die autoritären Krisenlösungsmaßnahmen asiatischer Staaten zwar nicht nach demokratischen Prinzipien funktionierten, im Falle weniger mächtiger Länder aber durchaus inspirierend seien.

Die alte Auseinandersetzung zwischen "Revolution oder Reform", wie sie 1988 anläßlich des IWF-Treffens in Berlin zwischen Autonomen und Anti-Imperialisten auf der einen, Grünen und kirchlichen Kreisen auf der anderen Seite geführt wurde, wird sich im Rahmen der Bewegung gegen den "Neoliberalismus" wohl wiederholen. Den eher libertär gestimmten Militanten von Seattle, Prag und Nizza, die an einem neuen globalen Antikapitalismus interessiert sind, wird in Gestalt von NGOs eine Kraft gegenüberstehen, die aufgrund der unwägbaren Krisentendenz des kapitalistischen Weltsystems als Arzt an dessen Krankenbett auftritt.

Proteste in Davos
Proteste in Davos: "Die jungen Leute stellen die richtigen Fragen"

*/ ?>

Denn die von Pragmatismus und wachsendem Reformbemühen geprägte Entwicklung auf Seiten vieler NGOs trifft mittlerweile auf Institutionen, die nicht mehr die gänzlich geschlossenen Veranstaltungen der "Herrschenden" sind, wie man sie aus den letzten Jahrzehnten kennt. Solidarisch-konstruktive Kritik der "Zivilgesellschaft" ist zumindest bei Reformern innerhalb des IWF durchaus erwünscht. Und wie in vielen UN-Institutionen schon seit geraumer Zeit üblich, könnten ausgewählte NGOs bald auch an den runden Tischen von IWF und WTO Platz nehmen. Damit wird eine Konstellation wahrscheinlich, in der sich die Reformbedürfnisse beider Seiten kreuzen und den NGOs zwischen der Hardlinerpolitik der Liberalisierung, wie sie der IWF-Mainstream nach wie vor propagiert, und protektionistisch-etatistischen Reaktionen eine Scharnierrolle zukommt und sie mit ihren neuen Regulationsmodellen des Mittelwegs in den kapitalistischen Institutionen Gehör finden.

Das wäre die historische Rolle der "jungen Leute" und ihrer "richtigen Fragen". Als "repressive Toleranz" (Herbert Marcuse) kann die sich in Wolfensohns Worten ausdrückende Offenheit auf den Punkt gebracht werden, denn die Empörung vieler Globalisierungskritiker über die Deregulierung und ihr unklares Gerede vom "Neoliberalismus" kanalisieren sich selbst in Re-Regulierungsdebatten und sozialdemokratischem Etatismus. Nicht mehr auszuschließen ist zudem, daß in zukünftigen Krisen des Weltfinanzsystems ein autoritärer Antiliberalismus zum Durchbruch kommt: In Malaysia begleiteten antisemitische Verschwörungstheorien die Wende gegen IWF und Liberalisierung, und der Regierungspräsident des Landes machte den "Spekulanten" George Soros für die Asienkrise verantwortlich.



Gerhard Hanloser ist Musikredakteur bei Radio Dreyeckland in Freiburg.
Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 251 der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt.


Zur normalen Fassung


https://sopos.org/aufsaetze/3ac4bd8d6c66f/1.html