Zur normalen Fassung

Keine Stigmatisierung Israels

von Thomas Käpernick


Mit dem Beginn der al-Aqsa-Intifada demonstrierten in Frankreich, Belgien, England, Deutschland und vielen anderen Ländern Menschen ihre Solidarität mit den Palästinensern auf besondere Art: Sie warfen Steine und Brandsätze auf Synagogen, schändeten jüdische Friedhöfe, beschimpften, attackierten und verletzten Juden und Jüdinnen. Ziel dieser Angriffe war nicht der israelische Repressionsapparat. Vielmehr drückte sich in ihnen ein Antisemitismus aus, der zur Elimination all dessen, was er als jüdisch ansah, aufrief: "Bringt die Juden um!" lautete eine der Parolen.

Dessen weitgehend ungeachtet, machte sich die Öffentlichkeit hierzulande auf die Suche nach den Gründen des unerwarteten Gewaltausbruches in Nahost. Israel habe sich durch Siedlungspolitik und Unnachgiebigkeit die Suppe selbst eingebrockt. Ebenso wird für selbstverständlich gehalten, daß "die Palästinenser einen eigenen souveränen Staat mit wirtschaftlicher Entfaltungsmöglichkeit" (pax christi) brauchen, daß wer "einer Nation die Selbstbestimmung verweigert (...) auch dem Individuum die Zukunft vorenthält" (junge welt). Unisono wird die Zuordnung in Opfer und Täter vollzogen. So erklärt der Dachverband Entwicklungspolitischer Aktionsgruppen in Baden-Württemberg, daß es nur eine "Frage der Zeit (war), wann die Verzweiflung in Gewalt umschlägt." Einwände etwa gegen den Opfer- und Märtyrerkult oder die Instrumentalisierung von Kindern auf palästinensischer Seite, die eine Solidarisierung fragwürdig machen, werden nicht mehr wahrgenommen.

Die deutsche Außenpolitik hat sich vom Philosemitismus abgewendet, und seit dem Krieg gegen Jugoslawien gilt Auschwitz nicht mehr als Faktor, der Zurückhaltung gebietet.

Diese propalästinensische Position schmiegt sich auf der einen Seite an die in allerfriedlichster Absicht erfolgende Parteinahme der rot-grünen Außenpolitik an, die mal Logistik-Hilfe für die Intifada durch Ausfliegen verletzter Kämpfer leistet, mal darauf lauert, daß die USA ihr Engagement in der Region reduzieren. Die deutsche Außenpolitik hat sich vom Philosemitismus abgewendet, und seit dem Krieg gegen Jugoslawien gilt Auschwitz nicht mehr als Faktor, der Zurückhaltung gebietet. Wo die FAZ noch dezent die Chancen der Intervention auslotet ("Gestern geschah das in Bosnien, heute auch im Kosovo, morgen womöglich auf den Golan-Höhen oder im Golf"), da fallen Solidaritätsgruppen ganz undiplomatisch mit dem Auschwitzvergleich ins deutsche Haus: "Wir können und wollen nicht länger schweigen. Gerade auch aus unserer deutschen Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen an Millionen Juden glauben wir, die Politik Israels gegenüber dem palästinensischen Volk nicht weiterhin tolerieren zu dürfen." (Flüchtlingskinder im Libanon e.V.).

Auf der anderen Seite fühlen sich Antizionisten wie Werner Pirker in der jungen welt ermutigt, ihren Projektionen freien Lauf zu lassen: "Mit alttestamentarischer Härte geht Israel gegen die palästinensische Rebellion in den besetzten Gebieten vor. Für ein Auge hundert Augen und für einen Zahn hundert Zähne, lautet die Rechnung (...) Israel wird seine Militäraktionen erst dann einstellen, wenn sich auf der Westbank und im Gazastreifen kein Araber mehr auf die Straße wagt (...) Kinder und Jugendliche wollen lieber sterben, als unter diesen menschenunwürdigen Bedingungen zu leben." Und bei allen Unterschieden treffen sich die Antiimperialisten mit der deutschen Außenpolitik spätestens dann, wenn ein palästinensischer Nationalstaat als Ausweg gepriesen wird.

Ein palästinensischer Nationalstaat wird in der Krise darauf bauen, daß sich die konformistische Rebellion nicht gegen ihn selbst, sondern gegen das Ersatzobjekt des für fremd und bedrohlich Gehaltenen und für die Krise verantwortlich Gemachten richtet.

Es gehört zu den schmerzlichen Erfahrungen der Einwohnerschaft Israels, daß die Gewalt in diesem Konflikt nicht lediglich eine Form der Politik mit anderen Mitteln ist, sondern daß Selbstmordattentate, Anschläge auf Schulbusse und antisemitische Vernichtungsdrohungen auf Schlimmeres hindeuten. Arafat hat zwar offiziell das Existenzrecht des israelischen Staates anerkannt, aber dies wird in weiten Teilen der arabischen Welt nicht nachvollzogen. Die nationalistische Propaganda ist durchsetzt von Antisemitismen: "Kein Jude schreckt vor irgendeinem vorstellbaren Bösen zurück (...) Unser Volk muß sich in einem Schützengraben vereinigen (...) Wo immer ihr seid, tötet Juden und Amerikaner, weil sie Israel hier einpflanzten, wo das Herz der arabischen Welt schlägt, in Palästina. Wir werden kein einziges Samenkorn palästinensischen Bodens aufgeben." So hetzte ein früherer Universitätsrektor in Gaza unwidersprochen über das palästinensische Fernsehen (zitiert nach konkret 12/00). Setzt man voraus, daß der kapitalistische Weltmarkt einem palästinensischen Staat miserable Zukunftsaussichten verheißt, dann ist fraglich, wieso mit erfolgter Staatsgründung dieser Antisemitismus verstummen sollte.

Aus der deutschen Geschichte sollte bekannt sein, daß Antisemitismus nicht auf realer Erfahrung mit Juden beruht. Die Hoffnung, durch neue Grenzpfähle, durch räumliche Trennung werde der Konflikt entschärft, ist somit naiv. Der Nationalismus markiert den "Fremden", von dem der Antisemitismus säubern will. Und als "fremd" stigmatisiert ist im Nahen Osten nun mal Israel. Ein palästinensischer Nationalstaat wird in der Krise darauf bauen, daß sich die konformistische Rebellion nicht gegen ihn selbst, sondern gegen das Ersatzobjekt des für fremd und bedrohlich Gehaltenen und für die Krise verantwortlich Gemachten richtet. Dies zu verhindern, indem jede Stigmatisierung Israels denunziert wird, sollte die vorrangige Aufgabe der hiesigen Linken sein.

Thomas Käpernick ist Redakteur bei Radio Dreyeckland in Freiburg.
Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 250 der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt.


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