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Vom Anstand der Aufständigen

Zum geplanten NPD-Verbot und staatlich verordneten Antifaschismus

Gruppe Internationaler SozialistInnen


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"Kampf den Nazis" titelte Die Zeit am 17. August 2000. "Mit aller Macht des Staates" soll demnach ab jetzt der Kampf gegen gewalttätige Neonazis geführt werden. Damit stand sie nicht alleine. Der Bund der Deutschen Industrie (BDI) gab zu verstehen, daß Ausländerfeindlichkeit dem Standort Deutschland schade und Arbeitsplätze gefährde. Bestellte Sozialpädagogen ließen sich über die schwere Kindheit von Nazischlägern aus, Politiker aller Couleur überboten sich mit Forderungen nach "harten Maßnahmen gegen rechts". Nach den Anschlägen in der Nacht zum 3. Oktober erklärte Bundeskanzler Schröder den "staatlichen Antifaschismus" zur Chefsache: "Wegschauen ist nicht mehr erlaubt", heißt es jetzt, und die Regierung fordert einen "Aufstand der Anständigen". Da darf auch der bayrische Innenminister Günther Beckstein nicht fehlen, der lauthals verkündete: "Auch der Ausländer der vielleicht morgen abgeschoben wird, soll sich noch auf unseren Straßen sicher fühlen können".Wenn es darum geht "Rechtsstaatlichkeit", und das Definitionsrecht über "Ausländer die uns nützen, und Ausländern, die uns ausnützen" (Günther Beckstein) zu verteidigen, ist sich die "Neue Mitte" einig. Äußerungen, wie "es gilt jede Gewalt in der politischen Auseinandersetzung hart zu verurteilen" oder die Aufforderung, "die Ordnungsaufgabe Polizei und Gerichten zu überlassen" (Klaus von Dohnany in der Zeit vom 17.8. 2000), zeigen, in welche Richtung der neue "Antifaschismus" der Herrschenden gehen soll: Ein paar Krokodilstränen für die Opfer der Nazigewalt, Totschweigen der staatlichen Abschiebepraxis und stückweise Aufstockung des Repressionsapparats. Am Ende dieses "staatlichen Antifaschismus" werden letztendlich Verschärfungen des Demonstrationsrechts, die erneute Untermauerung des Rassismus z.B. durch "Einwanderungsdiskussionen" und der verstärkte Versuch der Gleichsetzung von rechts und links stehen. "Überhaupt sollten wir in Fragen extremistischer Gewalt die Unterscheidung rechts oder links aufgeben", schreibt z.B. v. Dohnany. Und weiter: "In diesem Rahmen (der Grundrechte) muß das Demonstrationsrecht von Demokratiefeinden und Rassisten überprüft werden. (...) Wer als politischer Gewalttäter festgestellt wird, der könnte auch (...) mit dem Mittel der elektronischen Fessel (...) überwacht werden".

Die Konsequenzen für die Linke liegen klar auf der Hand: Verschärfung des Demonstrationsrechts und endlich die Durchsetzung eines Demonstrationsverbots in Berlin-Mitte - und nicht nur da! Wer also meint, an die angeblich weit verbreiteten Stimmung gegen Nazis anknüpfen zu können, oder gar der Meinung ist, in Zusammenarbeit mit "fortschrittlichen bürgerlichen Kräften" bzw. der Staatsgewalt einen antirassistischen und antifaschistischen Konsens zu erreichen, ist auf dem Holzweg.

Von Dregger bis Schily: Ausländergesetze - staatliche Hetze

In den Ausländergesetze der Bundesrepublik Deutschland ist bereits die Entrechtung der Einwanderer verankert: Mit den ersten gesetzlichen Regelungen (1965) zum Aufenthalt von Migranten setzten die Behörden u.a. die "Ausländerpolizeiverordnung" von 1938 wieder in Kraft. Aus der "Würdigkeit" in Deutschland bleiben zu dürfen, wurde die Vorschrift, bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zu beachten, daß die "Belange der BRD nicht beeinträchtigt werden dürfen". Diesen Paragraphen gibt es bis heute. In der Praxis bedeutet er z.B. folgendes: Ein "Ausländer" kann ausgewiesen werden, wenn er die "Sicherheit der BRD" gefährdet. Das heißt, daß die Behörden insbesondere die politische Betätigung von Migranten stark einschränken können. Beispielsweise war es beim Schahbesuch 1967 allen iranischen Staatsbürgern verboten, sich politisch zu betätigen; einige mußten sich täglich bei der Polizei melden. Des weiteren besteht bis heute die Koppelung von Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. Ausnahme ist hier die Duldung von z.B. Bürgerkriegsflüchtlingen oder ein laufendes "Asylverfahren". Hier wiederum haben die betroffenen Menschen so gut wie gar keine Bürgerrechte - in den meisten Fällen dürfen "Geduldete" nicht einmal ohne besondere Erlaubnis ihren zugeteilten Landkreis oder die Stadtgrenze verlassen und meist auch nicht arbeiten. Bei der Erteilung der inzwischen entstandenen Formen der Aufenthaltserlaubnis, -berechtigung, -bewilligung, -befugnis, -duldung und den dazugehörigen gesetzlichen Formulierungen gibt es zusätzlich noch ein unglaubliches Feld der Willkür für Behörden. Die Beschreibung der Schikanen, denen die Migranten auf den Ausländerbehörden ausgesetzt sind, würde Seiten füllen.

Die Hauptfunktion der Ausländergesetze ist immer noch dieselbe wie vor 100 Jahren: eine flexible und billige Arbeitsreserve zur Verfügung zu haben, die sich so wenig wie möglich wehren kann. Schon Anfang des Jahrhunderts waren ca. eine Million "ausländische" Arbeiter und Arbeiterinnen in Deutschland beschäftigt. Während des Ersten Weltkriegs wurde aus "Gastarbeit" vorwiegend Zwangsarbeit. Nach Kriegsende wurde dann das vorgegangene Ausreiseverbot zum "Zwang zur Rückkehr". In der Weimarer Republik entstand schließlich das heute ebenfalls gültige "Inländerprimat", das meint den Vorrang von Inländern bei der Zuteilung von Arbeitsplätzen.

Zusätzlich hat diese Gesetzgebung natürlich ein ideologisches Element und hilft, den Staatsrassismus zu untermauern und die Klasse durch Kategorisierung, Diskriminierung und Unterdrückung sog. "Ausländer" zu spalten. Die Forderung nach der bedingungslosen Abschaffung aller Ausländergesetze ist daher für Sozialisten kein schönes Extra, sondern grundlegende Ausgangsbedingung für den Aufbau einer integrierten, emanzipatorischen Bewegung gegen den Kapitalismus und sein Organisationsprinzip - den Rassismus.

Verbot der NPD? - Keine Illusionen in diesen Staat!

In der Linken wird derzeit viel über die Vor- und Nachteile eines Verbots der NPD diskutiert, die derzeit die am besten organisierte und gefährlichste faschistische Kraft darstellt. Einige versprechen sich von einem Verbot, den Nazis damit den legalen Bezugsrahmen für ihre Aufmärsche und Aktionen zu entziehen - und somit zumindest eine "Etappenziel" zu erreichen. Dabei wird übersehen, daß sich die Naziszene im Zusammenhang mit der Verbotsdiskussion bereits reorganisiert. Zwar gibt es im braunen Spektrum Verunsicherungen und Spannungen. Es liegt jedoch auf der Hand, daß die Faschisten sehr dynamisch organisiert sind und selbst für den Fall eines Verbots der NPD schon jetzt Vorkehrungen getroffen haben. Alles deutet auf die Schaffung einer weiteren legalen Formation für Wahlkämpfe usw. hin, während sich das militante Spektrum der sog. "Kameradschaften" "autonom" und konspirativ umorganisiert. Aus revolutionär sozialistischer Perspektive kann die NPD nicht gegen ein Verbot verteidigt werden. Es muß jedoch die Forderung nach einem Verbot der NPD im Kontext der derzeit geführten Diskussion für sehr gefährlich angesehen werden, da sie lediglich dazu dient, Illusionen in den bürgerlichen Staatsapparat zu stärken. Die ohnehin schon gebeutelte antifaschistische Bewegung würde sich mit dieser Forderung die letzte Stoßkraft nehmen. Appelle an - wie einige reformistische Kräfte argumentieren - einen "Schulterschluß" mit dem bürgerlichen Staat werden mitnichten zu politischen Geländegewinnen für die Linke führen - im Gegenteil. Die Geschichte hat oft genug gezeigt, daß ein scheinbares Vorgehen des Staates gegen "rechts" in einer harten Repression gegen die radikale und sozialistische Linke mündet. Wer sich im Kampf gegen Rassismus und Faschismus auf den bürgerlichen Staat verläßt, hat schon verloren. Nur durch Selbstorganisierung und entschlossene und konsequente Mobilisierungen von Arbeitern und Arbeiterinnen, Immigranten und Jugendlichen wird es möglich sein, den Nazis mehr entgegenzusetzen als autonome Kleingruppenmilitanz und bürgerlich-reformistische Demokratiebekundungen fern ab vom den Treffpunkten der Nazis.

Antifa heißt nachdenken!

Was für ein Sommertheater! Ein Ruck geht plötzlich durch die BRD. Es ist ein antifaschistischer Ruck, alle betonen plötzlich (und für die Linke unvermutet) den Kampf gegen rechts: von der PDS bis zur CSU, von der Jungen Welt bis zur Springerpresse. "Die Nazis, ihre Weltanschauung, ihre Strukturen, Parteien, Treffpunkte, Aktionen, Propaganda, Aufmärsche, Waffenlager, Wehrsportcamps und ihre schwarzen Listen werden endlich als das gesehen, was sie sind: als Gefahr. Wo aber sind jene geblieben, die schon vor Jahren davor gewarnt haben, die sich bemüht haben, die Strukturen aufzuzeigen und sie nach Möglichkeit zu behindern? Wo ist die Antifa-Bewegung in diesen Tagen?" (Interim Nr. 509) Die Frage der Berliner Szenezeitung Interim war und ist in der Tat berechtigt.

Die Kampagne der neuen "Staatsantifa" erwischte die Linke tatsächlich auf dem falschen Fuß. Die Konfusionen waren komplett: Man hatte sich gerade eher schlecht als recht damit abgefunden, daß das Trio Infernale bestehend aus dem abgemagerten Ex-Sponti Fischer, dem ehemaligen linksliberalen Advokaten Schily und dem vom Stamokap-Juso zum Automann gewendeten Schröder unter "antifaschistischen" Vorzeichen den ersten NATO-Angriffskrieg mit deutscher Beteiligung seit 1945 erfolgreich legitimiert hatte. Da sah es so aus, als ob nach den letzten Einpunktbewegungen auch noch das letzte Refugium der radikalen Linken staatlicherseits vereinnahmt würde. Die Reaktionen der Linken fiel unterschiedlich aus: Das links-sozialdemokratische Spektrum, wie z.B. die SAV oder "Links"ruck phantasierten großartige Möglichkeiten für den "Anti-Nazi-Kampf" herbei. Andere hofften, daß der Spuk möglichst bald aus den Schlagzeilen verschwinde. Besonders gewiefte Taktiker versuchten nun, Gelder für Antifaprojekte aus der Staatskasse zu erbetteln - und gaben sich sogar für Treffen mit Vertretern der Kriegstreiberpartei Die Grünen her. Auch die Abgrenzungsbemühungen derjenigen Antifas, die noch was auf ihren linksradikalen Anspruch gaben, fielen mager aus. Besonders Schlaue riefen zum Bruch mit der "Ideologie des Antifaschismus" und theoretischer Klärung auf, ohne dabei jedoch zu erklären, wie eine gangbare revolutionäre Strategie gegen Nazis heute aussehen könnte. "Antifa heißt Angriff" oder "Antifa ist der Kampf ums Ganze" - all die schönen Parolen von einst, die Stärke und Geschlossenheit vermitteln sollten - die leider nie da war - sie ziehen heute nicht mehr. Der Versuch mit dem "Konzept Antifa" alle möglichen in der Linken umhergeisternden Konzepte - die absurdesten stalinistischen eingeschlossen - unter einem Banner harmoniesüchtig zu vereinen, ist gescheitert. Dies kann auch etwas Gutes haben. Allerdings nur, wenn sich in der Linken die Einsicht breit macht, daß es nichts bringt, unter Rückgriff in die stalinistische Mottenkiste "Volksfront" zu spielen und dabei doch nur eine abstrakte "Demokratie" zu verteidigen. Die viel beschworenen breiten Bündnisse mit vorgeblich fortschrittlichen Verteidigern der Warengesellschaft führen ins Nichts.

Es gilt einen Selbstverständigungsprozeß voranzutreiben, in dem sich auf Grundlage eines internationalistischen Standpunktes die grundsätzliche Kritik an Faschismus und Kapitalismus neu formieren und organisieren kann.

Kontakt: Gruppe Internationaler SozialistInnen

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https://sopos.org/aufsaetze/3a03152112a27/1.html