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Nicht aus einer Rippe Evos

Indigene Frauen in Bolivien auf dem Weg zu politischer Partizipation

von Alicia Allgäuer und Isabella Radhuber

Seit August 2006 arbeiten 21 thematische Kommissionen der Verfassungsgebenden Versammlung an der Neugründung der Republik Boliviens. 88 Frauen nehmen daran aktiv teil. Viele von ihnen kommen aus den sozialen, indigenen und Frauenbewegungen.

So wie Nélida Faldín, Mitglied der Kommission für die Struktur des Staates: "Ich bin indigenes Mitglied der Verfassungsgebenden Versammlung und repräsentiere das Tiefland", stellt sie sich vor. Eines der Hauptanliegen der Gemeinschaften der Chiquitan@s im Bundesstaat Santa Cruz ist es, endlich die kollektiven Landbesitzrechte in der Verfassung festzuschreiben.

Von den indigenen Aufständen des 18.Jahrhunderts bis hin zu den heutigen sozialen Bewegungen waren Frauen an den Mobilisierungen stets zahlreich beteiligt. Dies spiegelte sich allerdings nie in den realen Machtverhältnissen wider. Nun fordern Frauenorganisationen vermehrt ihren Platz in politischen Entscheidungsstrukturen und engagieren sich für die neue Verfassung. Im Januar 2007 trafen sich Vertreterinnen der "Union der Parlamentarierinnen Boliviens" sowie die weiblichen Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung und wählten eine Koordinatorin für Frauenfragen in den Verfassungsdebatten. Roxana Zaconeta vom Kollektiv "Frauenpräsenz in der Geschichte" begründet das Engagement so: "Unser Ziel ist es vor allem, einen gendergerechten Blick auf alle Prinzipien der Verfassung zu werfen und in die Visionen für das Land einzubringen. Es gibt Forderungen, die unerläßlich sind, wie zum Beispiel die nach einem laizistischen Staat."

Ende Mai verabschiedeten indigene, afrobolivianische, feministische und gewerkschaftliche Organisationen ein Positionspapier mit Forderungen für die neue Verfassung im Hinblick auf Frauenrechte. Unter anderem wird das Recht auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung gefordert. Daß dies in einem katholischen Land wie Bolivien nicht einfach durchzusetzen ist, zeigt die aktuelle Debatte um Abtreibung. Die Kommission "Rechte, Pflichten und Garantien" schreibt in ihrem Bericht: "Das Recht auf Leben beginnt bei der Empfängnis." Frauenorganisationen wiesen diese Formulierung als religiös gefärbten Konservatismus zurück. Über den Entwurf wird nun die Vollversammlung debattieren und entscheiden.

Von den 88 weiblichen Mitgliedern der Verfassungsgebenden Versammlung gehören 64 zur Partei des indigenen Präsidenten Evo Morales, der Bewegung zum Sozialismus (MAS). Die Wahl der Versammlung verlief ausschließlich über die politischen Parteien. Dies wurde von einigen Angehörigen der Basisbewegungen heftig kritisiert. Nach Meinung des anarcho-feministischen Kollektivs Mujeres Creando erhalten dadurch auch die 2003 gestürzten Parteien erneute Legitimität. Das alte Herrschaftssystem werde aufrechterhalten und bestenfalls durch eine "phallische Dekolonisierung" ersetzt. "Aus einer Rippe Evos wird keine Eva entstehen", lautet eine der Parolen der Mujeres Creando.

Auch die Frauen der Asamblea Feminista versuchen den Verfassungsprozeß von außen mitzugestalten. Sie sehen darin ein Instrument der Bevölkerung "von der Straße aus". Denn dies sei der Geist des Oktobers - gemeint ist der Oktober 2003, in dem nach Massendemonstrationen der damalige Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada ins Exil gezwungen wurde. Statt Parteizugehörigkeit propagieren die Frauen autonome feministische Räume und Zusammenschlüsse mit anderen Segmenten der Basisbewegungen.

Die bolivianische Frauenbewegung war lange Zeit polarisiert. Auf der einen Seite standen die Organisationen der "Gender-Technokratie", die die Elite und die herrschaftsunkritische NGO-Szene repräsentierte. Als Gegenpol dazu formierten sich anarcho-feministische Gruppierungen wie Mujeres Creando und die Asamblea Feminista. Doch auch diese Strömung machte es sich ebenso wenig wie erstere zur Aufgabe, die Frauen indigener Herkunft als politische Subjekte in den Mittelpunkt zu rücken. Die bisherige feministische Forschung westlicher Prägung in Bolivien schenkte den realen Lebensumständen indigener Frauen kaum Beachtung, weshalb feministische Ideen von der bolivianischen Bevölkerung kaum aufgegriffen wurden.

Es ist nicht leicht, sich als indigene Frau in einer patriarchalen und von kolonialer Dominanz geprägten Gesellschaft zu behaupten. Nélida Faldín beklagt: "Um zu studieren oder einen Beruf auszuüben, mußtest du deinen Namen ändern, um in eine Bank zu gehen, dich elegant anziehen. Andernfalls wärst du nicht hineingekommen." Isabel Domínguez berichtet, daß auch in der Verfassungsgebenden Versammlung permanent versucht werde, den indigenen Frauen Kompetenz abzusprechen. "Einige Politiker der traditionellen Parteien sind mit meiner Person nicht einverstanden und sagen, die Isabel Domínguez ist nicht professionell, sie ist keine Akademikerin." Dabei kann Dominguez auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Seit vielen Jahren ist sie in Frauenbewegungen aktiv, wegen ihres Engagements wurde sie in den 1990er Jahren Opfer von politischer Gewalt, Gefängnis und Folter. Derzeit ist sie Vorsitzende der Nationalen indigenen Bäuerinnenvereinigung Bartolina Sisa (FNMCBS). Diese ist mit über 100.000 Mitgliedern die größte Organisation indigener Frauen in Bolivien und verfügt landesweit über gewerkschaftliche Strukturen.

Die MAS-Regierung versteht sich zwar als Instrument der sozialen Bewegungen, an den patriarchalen Machtverhältnissen hat sie bisher aber wenig geändert. Immerhin konnten sich indigene Frauenorganisationen als Vertreterinnen von Fraueninteressen konsolidieren, während die technokratische NGO-Szene an Legitimität verliert. Dabei bleibt die Frage offen, ob die Autonomie der Frauenorganisationen innerhalb der sozialen Bewegungen gewährleistet werden kann. Zu den Herausforderungen für die erstarkende Frauenbewegung indigener Prägung zählen daher einerseits die Erforschung der Überschneidung von kolonialen und patriarchalen Herrschaftsmechanismen sowie andererseits die Ermächtigung der unterprivilegierten Frauen zur Selbstrepräsentation auf politischer Ebene.

Zwar hält sich die Zahl der am neuen Regierungsprojekt beteiligten Frauen noch in Grenzen, die bereits involvierten Frauen lassen sich aber nicht so leicht von ihrem Weg abbringen. Die Präsidentin der Verfassungsgebenden Versammlung, Silvia Lazarte, stellt klar: "Trotz der Drohungen durch einige Abgeordnete werde ich weitermachen. Mit aller Deutlichkeit werden wir weiterarbeiten, bis wir die neue Verfassung überreichen können."

Alicia Allgäuer und Isabella Radhuber sind Diplomandinnen am Institut für Politikwissenschaft in Wien und absolvierten zahlreiche Forschungsaufenthalte in Bolivien. Die ungekürzte Fassung ihres Beitrages erschien in der Zeitschrift Frauensolidarität (3/2007).
Dieser Beitrag erschienen zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt (iz3w), Nr. 303.

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sopos 1/2008