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Die unbekannten Seiten des Martin Luther

von www.luther-der-film.de.vu

Im Herbst letzten Jahres (2003) war in den Kinos der Film "Luther" angelaufen. Interessant ist der Film nicht wegen seines Inhaltes gewesen, sondern angesichts dessen, was er verschweigt. In dem von der evangelischen Kirche mitfinanzierten Film wurde nicht ansatzweise erwähnt, dass Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit und ein genereller Hass auf das "Andere" fester Bestandteil von Luthers Weltanschauung gewesen war. In unmissverständlichen Formulierungen träumte er vom feurigen Ende aller Juden, vom Ersäufen der "behinderten" Menschen in der Gosse, vom Morden an den aufständischen Bauern usw. Seine Schriften dokumentieren den Hass auf alles Abweichende, der sich als roter Faden durch Luthers Gedankenwelt zieht. Der Reformator könnte ohne Skrupel als Vordenker der Nazis bezeichnet werden - eine kritische Auseinandersetzung mit Luther ist jedoch nicht gewollt. Die evangelische Kirche und die patriotischen Teile Deutschlands feiern Luther als wichtigen Gesellschaftsgestalter und beziehen sich ungebrochen positiv auf den geistigen Brandstifter und Sozialrassisten.

Luther und Antisemitismus

"Wie es unmöglich ist, dass die Aglaster ihr Hüpfen und Getzen lässt, die Schlange ihr Stechen: so wenig lässt der Jüde von seinem Sinn, Christen umzubringen, wo er nur kann." (Tischreden. Erlanger Ausgabe der Werke Luthers, Bd. 62, S. 375)

"Die Juden sind ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes Ding, dass sie 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen...; Man sollte ihre Synagogen und Schulen mit Feuer anstecken, ... unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe, dass wir Christen seien (...) ihre Häuser desgleichen zerbrechen und zerstören." (Von den Juden und ihren Lügen, Tomos 8, S. 88ff)

"Ich will meinen treuen Rat geben. Erstlich, dass man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke, und was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, dass kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich.. Zum andern, dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre. Denn sie treiben eben dasselbige darin, was sie in ihren Schulen treiben ..." (Luther: Handbuch der Judenfrage, S. 233-238)

Luther füllte viele Seiten mit antisemitischen Klischees bis hin zu brutalen Auslöschungsphantasien. Sein religiöser Eifer, der sich in der Vernichtung jüdischer Menschen im Geiste und später dann auch materiell niederschlägt, ging soweit, dass er offen dazu aufrief, dieses Werk zu vollstrecken (Luther erstellte einen Sieben-Punkte-Plan zur Vernichtung der Juden). Besonders gemein: In seinen Thesen schlug Luther die Verwertung nützlicher Juden vor - die Konzentrationslager der Nazis sind davon gedanklich nicht mehr weit entfernt: "Siebtens soll man den jungen, starken Juden und Jüdinnen Flegel, Axt, Spaten, Rocken und Spindel in die Hand geben und sie ihr Brot verdienen lassen im Schweiße des Angesichts." (Luther: Handbuch der Judenfrage) Somit ist es auch kein Zufall, dass sich Adolf Hitler 1923 positiv auf Luther bezog: "Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck durchbrach er die Dämmerung; sah den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen beginnen." Bei den Nürnberger Prozessen beriefen sich die Nazis ausdrücklich auf Luthers Anti-Juden-Schriften.

Von nichts gewusst?
Die Kirche unterstützte die NS-Politik mit Bezug auf Luther

Auch die Kirchen bezogen sich in der NS-Zeit auf Luther: In den Weihnachtstagen 1941, als den Juden in Deutschland auferlegt wurde, einen Judenstern auf ihrer Kleidung zu tragen, erklärten sieben deutschchristliche Landeskirchenführer - und dem schloss sich die Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei an: "Als Glieder der deutschen Volksgemeinschaft stehen die unterzeichneten deutschen Evangelischen Landeskirchen und Kirchenleiter in der Front dieses historischen Abwehrkampfes, der u.a. die Reichspolizeiordnung über die Kennzeichnung der Juden als der geborenen Welt- und Reichsfeinde notwendig gemacht hat, wie schon Dr. Martin Luther nach bitteren Erfahrungen die Forderung erhob, schärfste Maßnahmen gegen die Juden zu ergreifen und sie aus deutschen Landen auszuweisen." (Günter Brakelmann/Martin Rosowski (Hg.), Antisemitismus, Göttingen 1989, S. 108.)

Luther und der Hass auf alles Abweichende

"Steche, schlage, würge hie, wer da kann. Bleibst du darüber tot, wohl dir, einen seligeren Tod kannst du nimmer mehr erlangen". (Luther über die aufständischen Bauern, Weimarer Ausgabe 18, S. 357 f)

"Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen... Es ist ein gerechtes Gesetz, dass sie getötet werden, sie richten viel Schaden an." (Luther über Frauen in einer Predigt von 1526, Weimarer Ausgabe 16, S. 551)

"Es ist besser, wenn Tyrannen hundert Ungerechtigkeiten gegen das Volk verüben, als dass das Volk eine einzige Ungerechtigkeit gegen die Tyrannen verübt."

Nicht nur Juden waren Luther ein Dorn im Auge. Sein Hass richtete sich gegen alle, die von der Norm abwichen und in der Hierarchie unten standen. Luther positionierte sich damit klar für Herrschaftsverhältnisse und gegen die Menschen, welche durch genau solche Systeme gezielt an den Rand gedrängt werden. Diesen Gedanken trieb Luther zur tödlichen Konsequenz. An vielen Stellen fordert er die Ermordung oder totale Auslöschung bestimmter Menschen - ob Frauen, Juden, Bauern oder "Behinderte". Das macht die besonders grauenhafte Qualität seines Denkens aus. "Aus Luther lernen" müsste daher viel mehr bedeuten als den Bruch mit Religion: Gemeint ist der grundsätzliche Widerstand gegen eine Gesellschaft, die Menschen immer noch normiert, in mehr- oder minderwertig einteilt und Randgruppen konstruiert. Ungebrochen werden Menschen in Nationalitäten eingeteilt, Menschen ohne deutschen Pass brutal abgeschoben, "Behinderte" ausgegrenzt usw. Wichtig sind Projekte und Aktionen, die Debatten um eine Welt anzetteln, in der buntes Leben selbstverständlich ist und Menschen nicht mehr in kollektive Identitäten gepresst werden.

Der Film war Ansatz für Proteste

Aus der Kritik an Luther entstanden verschiedene Flugblätter, Texte, Webseiten und eine Ausstellung mit den übelsten Zitaten, die an verschiedenen Stellen für Aktionen und Gegenöffentlichkeit eingesetzt wurde - unter anderem in Würzburg, Giessen, Marburg und Köln. Teilweise wurden Flugblätter im Kinosaal ausgelegt oder vor den Kinos verteilt. Die Reaktionen der Kinogänger waren überwiegend positiv, die Handzettel wurden gerne genommen und es entstand so manches Gespräch, in dem auch die unbekannten Seiten von Martin Luther beleuchtet werden konnten. Weniger offen für differenzierte Sichtweisen waren einige Kinobesitzer - in einem Fall hetzte eine Eigentümerin ein paar Aktivisten die Polizei auf den Hals (allerdings ohne Erfolg - auch bei der nächsten Vorstellung wurde erneut verteilt ...). Auch die Lokalredaktionen Giessener Zeitungen wollten nicht am Mythos Luther rütteln lassen. Eine Redakteurin begründete die Absage damit, dass sie gläubige Evangelin sei und so etwas nicht verbreiten wolle. Die Ausnahme bildete ein alternatives Kino in Lich, dass die Luther-Ausstellung und einen lutherkritischen Diskussionskreis mit in das Programm einband. Da die evangelische Kirche und andere Luther-"Fans" an der Demontage ihres Helden wenig Interesse hatten, bleibt zu hoffen, dass es viel mehr solcher Aktionen, Diskussionsrunden und öffentlichkeitswirksamer Proteste gibt, die sich gegen die Verehrung von geistigen Brandstiftern und religiösen Taumel richten!


Kritiken und eine Dokumentation von Aktionsmaterialien sowie zahlreiche Links zu Seiten im Internet über Martin Luther finden sich unter www.luther-der-film.de.vu

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https://sopos.org/aufsaetze/40f9999f0f1d9/1.phtml

sopos 7/2004