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Machtpoker unter Zockern

Frankreichs Irakpolitik beruht auf Konkurrenz zu den USA

von Bernhard Schmid

Man kann man sich freuen, daß die Kriegspläne der Bush-Administration wegen der französischen Haltung eine Verzögerung erfahren haben. Doch sollte dieses vorläufige Ergebnis lediglich als Resultat "zwischenimperialistischer Konkurrenz" bewertet werden.

Noch vor einem Jahr war Staatspräsident Jacques Chirac in Frankreich allgemein als Supermenteur (Super-Lügner) bezeichnet worden. Kaum jemand im In- oder Ausland hatte an seine Wiederwahl geglaubt. Doch heute sieht plötzlich alles ganz anders aus. Chiracs Politik in Sachen Irak stößt bei der großen Mehrheit der Franzosen auf Zustimmung. Demonstranten in London oder den USA bedanken sich bei ihm mit Plakaten: "Merci Chirac". Bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats Mitte Februar erhält sein Außenminister Dominique de Villepin heftigen Applaus, obwohl der normalerweise in der Sitzungsordnung des internationalen Gremiums nicht vorgesehen ist. Chirac selbst nimmt im März bei seinem Staatsbesuch in Algerien ein Bad nach dem anderen in der johlenden Menge, begleitet von Sprechchören wie "Vive Chirac, vive l'Irak", "Veto, veto!" und "Visas, visas!".

Hauptgrund für den Erfolgszug des als Polit-Opportunisten verschrieenen Chirac ist die Haltung, die seine Regierung seit Anfang 2003 auf der internationalen diplomatischen Bühne gegenüber der Irakpolitik der USA einnimmt. Die wichtigsten Stationen dieser Diplomatie sind die gemeinsame französisch-deutsch-russische Erklärung, die am 10. Februar anläßlich des Besuchs von Rußlands Präsident Wladimir Putin in Paris vorgestellt wurde, sowie das französisch-russische Alternativpapier zum Resolutionsentwurf von US-Amerikanern, Briten und Spaniern im UN-Sicherheitsrat.

Nun kann man sich über die Tatsache freuen, daß die Kriegspläne der Bush-Administration auf diesem Wege wahrscheinlich einige Verzögerung erfahren haben. Doch sollte man dieses vorläufige Ergebnis lediglich als Resultat "zwischenimperialistischer Konkurrenz" werten. Denn an den Friedenswillen und die rein humanistischen Motive der Pariser (ebenso wie der Berliner oder Moskauer) Regierungspolitik zu glauben, dazu besteht kein Anlaß.

Worum geht es also? Es handelt sich in erster Linie um einen Machtkampf unter Großmächten. Frankreich und Rußland haben in den vergangenen Jahrzehnten besonders stark im Irak investiert. In den 70er und 80er Jahren war Frankreich einer der wichtigsten Lieferanten Bagdads gewesen. Insbesondere bei den konventionellen Waffen spielte es eine herausragende Rolle (bei der Hochtechnologie und bei den Komponenten für ABC-Waffen mußte es diesen Spitzenplatz allerdings mit Westdeutschland und den USA teilen). Daran möchten sowohl Frankreich wie Rußland wieder anknüpfen und sich gern ein größeres Stück vom Kuchen abschneiden, als ihnen bisher in Washingtons Nachkriegsplänen zugedacht wurde.

Politique arabe...

Frankreichs spezifische Position im Irak läßt sich vor allem auf die außenpolitische Situation während der 70er Jahre zurückführen. Die Kriege gegen die Unabhängigkeitsbewegung in Algerien von 1954 -1962 und die "Suez-Expedition" von 1956 - also der Überfall auf das nasseristische Ägypten zusammen mit Großbritannien und Israel infolge der Nationalisierung des Suez-Kanals - hatten Paris im Mittelmeerraum diplomatisch isoliert. Bis wenige Tage vor dem Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 lieferte Frankreich größere Waffenmengen ausschließlich an Israel und verschärfte damit sein außenpolitisches Problem weiter. Daraufhin beschloß das spätgaullistische Regime, das Ruder herumzureißen - und leitete das ein, was später als die politique arabe De Gaulles zum Mythos geworden ist. Unter De Gaulles Nachfolgern Pompidou (1969 - 1974) und Giscard d'Estaing (1974 - 81) kam diese Politik zu ihrer Blüte.

Zunächst fehlte es dieser politique arabe noch an seriösen Partnern, da die imperialistischen Einflußzonen im Nahen und Mittleren Osten weitgehend abgesteckt waren. Saudi-Arabien und der Iran standen unter dem Einfluß der USA. Die Briten behielten eine gewisse Kontrolle in ihren früheren Kolonien am Golf wie Kuwait oder Bahrain. 1970 konnte Pompidous Außenminister Michel Jobert zwar immerhin 110 Mirage-Kampfflugzeuge an Libyen verkaufen, Muammar Gaddafi war aber nicht gerade ein berechenbarer und vorzeigbarer Bündnispartner.

Doch dann wurde der Irak plötzlich zum devisenkräftigen Land, nachdem seine Erdöleinnahmen infolge der Nationalisierung der ehemals britischen Erdölquellen (1971) und der Ölpreissteigerung von 1973 binnen zehn Jahren um das 50-fache gestiegen waren. Zudem begann Bagdad sich vom sowjetischen Einfluß abzusetzen, der während der Phase der autoritären Modernisierungen (Landreform, Ausbau des Bildungswesens) in den frühen Siebzigern noch dominiert hatte. Und so erklärte der damalige Premierminister Chirac den irakischen Vizepräsidenten Saddam Hussein anläßlich seines Besuchs in Paris am 5. September 1975 zu seinem "persönlichen Freund". Pro-irakisch zu sein, gehörte in den 70er Jahren fast zum guten Ton. Auf den Riesenempfängen der irakischen Botschaft in Paris fand sich in den späten 70er Jahren die gesamte politische und intellektuelle Schickeria ein. Seitens der irakischen Offiziellen wußte man den französischen Parvenüs zuschmeicheln, indem man betonte, im Irak habe man die Monarchie ja auch "nicht zufällig" an einem 14. Juli gestürzt.

...im Namen der Aufklärung

Teile der französischen Sozialisten prangerten die Sonderbeziehung mit dem Irak zunächst noch als skrupellose Geschäfte mit einer Diktatur an. Doch ihre Kritik verstummte, als sie 1981 an die Regierung kamen. Wenige Monate zuvor hatte der Krieg mit dem Iran begonnen. Bei ihrer ideologischen Begründung dafür, warum die irakische Seite im damaligen Ersten Golfkrieg die bessere sei, berief sich die politische Klasse Frankreichs auf die Aufklärung, auf den damals noch laizistischen Anspruch der irakischen Diktatur, der diese mit dem republikanisch-universalistischen Laizismus in Frankreich verbinde. Das "moderne und republikanische" Regime im Irak wurde als Bollwerk zur Verteidigung der Zivilisation gegen die vordringenden "barbarischen Horden des iranischen Fundamentalismus" dargestellt. Dabei wurde unter den Teppich gekehrt, dass das irakische Regime im September 1980 den Krieg begonnen hatte - im Glauben, von den politischen Wirren im Iran profitieren und ein "Machtvakuum" ausfüllen zu können.

Beim Zweiten Golfkrieg 1991 wendete sich das Blatt erneut. Nachdem Präsident François Mitterrand noch einige Pirouetten als "Vermittler" gedreht hatte, ließ das internationale Kräfteverhältnis es den französischen Sozialisten angeraten erscheinen, den ehemaligen Verbündeten fallen zu lassen und sich den USA politisch wie militärisch anzuschließen. Das Engagement von rund 15.000 französischen Soldaten in der damaligen US-geführten Allianz erbrachte allerdings keine nennenswerten Ergebnisse: Frankreich erhielt keinen der lukrativen Aufbauverträge für Kuwait, anders als US-Firmen, Briten oder Japaner. Deswegen versuchte Paris ebenso wie Moskau bereits ab 1992 - und verstärkt ab 1995 - wieder Geschäftsbeziehungen zum amtierenden Regime in Bagdad zu knüpfen. Aber die USA setzten damals eine Politik durch, die das irakische Öl vom Weltmarkt fernhalten wollte. Der Irak sollte zwar im Inneren unter Kontrolle von Saddam Hussein verbleiben, aber nach außen hin `eingedämmt´ und wirtschaftlich geschwächt bleiben.

Die Erdöl-Förderverträge, die Frankreichs führender Konzern Total 1995 sowie Rußlands Ölfirma Lukoil im Jahr 1999 abschlossen, konnten deshalb nicht umgesetzt werden - sie wären erst bei Aufhebung des Embargos in Kraft getreten. Jetzt aber, im Jahr 2003, wollen Frankreich und Rußland nicht erneut das Nachsehen haben.

Zoff in der NATO

Bereits vor dem aktuellen Kräfteringen in Sachen Irak kam es zwischen Frankreich und den USA zu Konflikten um die Gewichtung innerhalb der NATO. Frankreichs Präsident Chirac beschloß Ende 1995, die nationale Militärdoktrin wieder an jene des Nordatlantikpakts anzunähern, nachdem Frankreich seit 1966 den militärischen Integrationsstrukturen des Bündnisses fern geblieben war. 1996 stellte Jacques Chirac dann auch einen erneuten Beitritt Frankreichs zum militärischen Oberkommando der NATO in Aussicht. Doch er stellte ihn zunächst unter eine Bedingung: Frankreich solle mindestens einen wichtigen Oberbefehl innerhalb des Militärpakts übernehmen, am besten jenen der NATO-Südflanke, der die Flottenverbände im Mittelmeer befehligt. Die US-Amerikaner lehnten ab und ließen erkennen, daß man darüber allenfalls "in fünf oder sechs Jahren" reden könne. Dabei ist es dann auf beiden Seiten geblieben. Unter der sozialdemokratischen Regierung von Lionel Jospin (1997 - 2002) galt es als heikel, solche militärpolitischen Fragen öffentlich zu diskutieren.

Die Aufnahme neuer Mitgliedsländer in Ost- und Südosteuropa wird das Gewicht der USA in der NATO stärken, hingegen die europäischen Altmitglieder und Rußland schwächen. Denn die postkommunistischen Eliten der Beitrittsländer fühlen sich oftmals besonders mit den USA verbunden, die als Befreier vom Sowjetsystem wahrgenommen werden. Nicht zuletzt wird dies durch den Brief der zehn osteuropäischen Staatschefs zur Unterstützung der Irakpolitik Bushs demonstriert. Doch schon der NATO-Gipfel im November 2002 in Prag hatte die künftige Ausrichtung der NATO auf den Unilateralismus der US-Politik besiegelt. Die geplante Eingreiftruppe der NATO (Response Force) entzog dem Plan der Europäer, eigene Eingreiftruppen aufzustellen, den Boden unter den Füßen.

Vor diesem Hintergrund ist der von den USA geplante Irakkrieg ein willkommener Anlaß für die beiden einflußreichsten kontinentaleuropäischen NATO-Staaten, aber auch für Rußland, die Machtgleichgewichte neu auszutarieren - gleich ob in der UNO, in der NATO oder in anderen Arenen der internationalen Politik.


Bernhard Schmid ist Jurist und freier Journalist in Paris.
Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 268 der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt.

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https://sopos.org/aufsaetze/3e888e1b620cb/1.phtml

sopos 3/2003